Zum wiederholten Male wurde in einem EU-Gremium keine qualifizierte Mehrheit für eine Neuzulassung von Glyphosat erreicht. Martin Häusling, EU-Abgeordneter der Grünen feiert die Entscheidung auf seiner Website:
„Die Mehrheit der EU-Regierungen hat richtig entschieden und auf den Aufschrei der Öffentlichkeit reagiert. Die Europäische Kommission und die EU-Regierungen hätten Glyphosat wegen der Gefahr, Krebs zu erzeugen, und wegen des schädlichen Einflusses auf die Biodiversität längst vom Markt nehmen müssen.“
Nein, Herr Häusling, die Mehrheit der Mitgliedsstaaten war für eine Verlängerung der Zulassung. SPIEGEL ONLINE meldet:
„Frankreich und Bulgarien stimmten den Angaben zufolge gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagene Verlängerung der Zulassung um bis zu 18 Monate. Neben Deutschland enthielten sich sechs weitere Staaten, 19 Länder stimmten dafür. Die aktuelle Europa-Zulassung des Stoffes läuft Ende Juni aus.“
Also: 19 dafür, 2 dagegen und 7 Enthaltungen. Da die Bevölkerungszahlen der abstimmenden Mitgliedstaaten mit berücksichtigt werden, kam lediglich keine qualifizierte Mehrheit zustande. Weiter führt Häusling aus:
„Wenn das Referendum in Großbritannien eines klar gemacht hat, dann, dass die EU auf die Bürger hören sollte. Die Europäische Kommission muss nun eine Kehrtwende machen und die Genehmigung für Glyphosat zurückziehen. Wenn sich die Europäische Kommission entscheidet, die weitere Zulassung auf Biegen und Brechen durchzudrücken, schadet sie dem Ansehen demokratischer Entscheidungen in der EU.“
Die Lage gestaltet sich ganz anders, als Martin Häusling das wahrhaben will: Die Briten haben am 23. Juni 2016 für den Brexit gestimmt. Die Entscheidung im Vermittlungsausschuss, ob die Genehmigung für Glyphosat verlängert wird, war für den Tag danach angesetzt. Premierminister David Cameron war vor dem Referendum sogar für Glyphosat in die Bresche gesprungen, um die Stimmen der Bauern für „Remain“ nicht zu verlieren. Farmers Weekly zitiert den Regierungschef:
„I am convinced we will get an extension. I am behind that – I think it is necessary. I am a user of Roundup in my own garden.
I know how important it is and we should base these decisions on science. That is the argument we will make and I am convinced we will get the extension we need.“
Die Aussage wurde sogar als Audio-Botschaft verbreitet. Britische Bauern haben sehr wohl wahrgenommen, welche Hintergründe die Enthaltung Deutschlands hatte. Ein Kommentator auf Farmers Weekly schreibt:
„What hypocracy Mr Cameron.
The reason we in the UK are likely to loose glyphosate is purely down to German internal politics.
Germany have changed position due to a minority party, the SDP, within their coalition. It’s fragile coalition at the best of times and though they, the SDP, are only 26% of the coalition they meant Germany had to abstain effectively changing the whole EU position to grid lock. So in last weeks vote ….For 20 countries, against 1 (Malta) but 7 abstentions, the German one being key.
UK farmers will bear the cost of EU zealots again.“
In einem weiteren Post ergänzt der Kommentator:
„Farmers –
Brexit is of course about more than just the fact that we the UK may loose Glyphosate on June 23rd – coincidentally when the college of EU commissioners decide if it gets an extension or its removed across the whole of the EU.!However it does highlight the fact that its NOT our decision and down to politics in France and Germany. If you are happy that this is the case then vote stay.“
Innenpolitische Konflikte werden auf europäischer Ebene ausgetragen. Es geht nicht um die Sache, sondern um politisches Kalkül.
Das Wall Street Journal hat am Beispiel von Glyphosat illustriert, wie Entscheidungsprozesse in Brüssel nicht ablaufen sollten: Die Mitgliedsstaaten schieben den Schwarzen Peter an die Kommission weiter und die verliert zusehends an Zutrauen in der Bevölkerung. Damit mag man kurzfristig (bis zur nächsten Bundestagswahl) weiterkommen, fährt langfristig das Projekt Europa aber vor die Wand.
Bildnachweis: © European Communities , 1997 / Source: EC – Audiovisual Service / Photo: Nathalie Malivoir
soll man Herrn Häusling nun Dummheit oder bewußt falsche Information unterstellen?
Verantwortungslosigkeit.
Diese Kerle protzen als die grössten Europäer füttern rucksichtslos das euroskeptische Sentiment.
ich muss widersprechen (obwohl ich im Endeffekt zustimme). Verantwortung ist eine Sache der Ethik und da gibt es unterschiedliche Ansätze (Vielleicht kann uns die Autorin da etwas auf die Sprünge helfen 😉 ).
Eine falsche Aussage (Die Mehrheit der EU Regierungen …) kann wegen Unwissen (etwas flappsig „Dummheit“) oder wider besseres Wissen (das bezeichnet man als bewusste Lüge oder Unwahrheit) getroffen werden.
Auf Französisch hier:
http://seppi.over-blog.com/2016/06/le-brexit-et-le-glyphosate.html
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