Lieber Herr Rüße,

erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, sich mit meinem Blogbeitrag auseinanderzusetzen. Es ging mir in erster Linie gar nicht darum, Ihre Betriebsführung zu kritisieren. Ich wollte allgemein auf die schwache betriebliche Wirtschaftskraft des Ökolandbaus hinweisen, die sich übrigens auch im Bundesdurchschnitt darstellen lässt. Ihr Betrieb diente lediglich zur Illustration – pars pro toto. Die Daten aus dem Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung 2015 zeigen ein ähnliches Bild: Knapp 92 Prozent des Gewinns der Öko-Betriebe resultiert aus Prämienzahlungen, bei den konventionellen Kollegen sind es lediglich gut 50 Prozent. Diese Statistik umfasst wohlgemerkt nur Vollerwerbsbetriebe.

agrarbericht2015_gewinn
Quelle: Agrarpolitische Bericht der Bundesregierung 2015, S. 58

Diese Asymmetrie wirft meines Erachtens die berechtigte Frage auf, inwieweit eine Bevorzugung des Ökolandbaus gerechtfertigt ist.

Ein weiteres Problem der Ökoförderung sind die Mitnahmeeffekte. In Regionen mit intensivem Ackerbau und riesigen Schlägen würde das Anlegen extensiv oder gar nicht genutzter Flächen der Natur viel mehr einbringen, als in Mittelgebirgsregionen, die eh schon sehr heterogen strukturiert sind. Was bringt es, wenn Betriebe in Gegenden umstellen, wo z.B. aufgrund von Hanglagen sinnvollerweise eh nur extensive Weidehaltung möglich ist? In den typischen Ackerbau-Regionen allerdings ist der konventionelle Anbau wirtschaftlich so interessant, dass sich eine Umstellung auf Bio- oder sonstige Extensiv-Landwirtschaft derzeit nicht rechnet.

Ihre Ballen sind ein gutes Beispiel dafür, dass man bei der Suche nach einer guten Lösung Kompromisse eingehen muss. Futterqualität ist ein entscheidendes Kriterium für die Tiergesundheit und da muss die Ressourceneffizienz – bei einem Fahrsilo fällt bezogen auf die Gewichtseinheit Silage definitiv weniger Plastik an – mal hinten anstehen. Durch meinen Blog habe ich einen Landwirt kennengelernt, der seinen kompletten Ackerbau nur mit minimal invasiver Bodenbearbeitung betreibt. Die Vorteile dieses No-Till-Farmings mit Gründüngung und vielfältigen Fruchtfolgen sind eine gute Bodenstruktur, ein geringer Ressourcenverbrauch, ein wirksamer Erosionsschutz, weil der Boden nie nackt ist, und langfristig geringe Kosten. Dieses Ackerbausystem kommt allerdings nicht ohne eine Glyphosat-Anwendung vor der Aussaat aus. Ich denke, das lässt sich bei einem geeigneten Standort genauso fachlich begründen wie Ihre in Plastik gewickelten Ballen.
Warum finden Sie den Vergleich der Biodiversitätsverluste bezogen auf die Einheit Erntegut schräg? Ackerbau ist in erster Linie dazu da, um etwas Essbares oder zumindest Tierfutter (mittelbar Essbares) zu produzieren. Auch der Bio-Landwirt muss die Biodiversität auf dem Acker reduzieren, sonst erntet er gar nichts. Von daher macht es Sinn, die Bilanz auf Basis des Anbauergebnisses zu ziehen. Die Betrachtung, was auf der Fläche passiert, ist in dieser Bilanz enthalten.

Sie erwähnen die 50er Jahre: Zu dieser Zeit wussten die Menschen noch, was Mangel ist. Viele ältere Menschen, die sich noch an diese Zeiten erinnern können, schütteln heute den Kopf, wenn Sie an Ackerbohnen-Feldern vorbeigehen, die zur Hälfte mit Disteln bedeckt sind. Verbraucher werden heute von den Regierungsstellen wie von vielen NGOs dazu angehalten, achtsam mit ihren Lebensmitteln umzugehen und möglichst wenig wegzuschmeißen. Wenn ich nur halb so viel vom Acker ernte, wie ich könnte, schmeiße ich dann nicht auch etwas weg?

Genauso wird Banken und Börsenhändlern vorgeworfen, durch Börsenspekulationen die Preise für Nahrungsmittel künstlich in die Höhe zu treiben. Wenn ich weniger ernte, als ich könnte, und die Produktion von Lebensmitteln somit teurer mache, als es wirklich notwendig ist, ist das unter dem Gesichtspunkt der Welternährung nicht genauso verwerflich?

Herr Rüße, Sie schreiben, Sie möchten „ernsthaft miteinander diskutieren“. Sehr gerne! Außerdem scheinen Sie Wert darauf zu legen, dass man vorurteilsfrei debattiert, um „Lösungen für die Landwirtschaft der Zukunft“ zu entwickeln. Da bin ich ebenfalls ganz bei Ihnen. Das bedeutet aber auch, dass Sie Ihre Vorurteile ebenfalls hinterfragen sollten.

Allen voran fällt mir das Thema Gentechnik ein. Grüne Gentechnik ist mehr als Herbizid-Resistenz. In den USA ist eine Kartoffelsorte zugelassen worden, die resistent gegen Krautfäule ist. Wir könnten hierzulande Tonnen von Fungiziden sparen, Biolandwirte müssten bei Kartoffeln kein Kupfer mehr einsetzen. Warum kann man über solche Ansätze nicht ideologiefrei diskutieren? Und jetzt bitte nicht wieder mit Südamerika und Steigerung des Pestizideinsatzes kommen: Ich vermute, in Nord- und Südamerika gäbe es auch ohne Grüne Gentechnik große Monokulturen und eine fragwürdige Praxis mit wenig Fruchtfolgen etc. Ohne Roundup-Ready-Pflanzen würden die dann wahrscheinlich giftigere Mittel sprühen. Da darf man Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Es gibt Beispiele, wie die Einführung von Bt-Auberginen in Bangladesch, die zeigen, dass sich mit Grüner Gentechnik der Insektizideinsatz reduzieren lässt und Kleinbauern ihre Erlöse verbessern können. Das kann man auch einfach mal zur Kenntnis nehmen.

Die Öko-Branche erscheint mir leider recht unflexibel beim Umgang mit Innovationen. Ich erinnere an das taz-Interview aus diesem Frühjahr mit dem Schweizer Professor Urs Niggli, dem akademischen Vordenker des Ökolandbaus überhaupt. Niggli zeigte sich sehr angetan von dem neuen Züchtungsverfahren Crispr/Cas und erntete dafür massive Kritik aus den eigenen Reihen. Es scheint im Bio-Bereich einen Kanon an Glaubenssätzen zu geben, an dem man sich zu halten hat, wenn man dazugehören will. Der taz-Redakteur Jost Maurin kritisiert dieses Gebaren in einem Kommentar „Die Bio Gesinnungspolizei„:

„Doch manche Aktivisten, etwa im Umfeld des Bioverbands Demeter, wollen solche Thesen nicht diskutieren, sondern diese unterdrücken. Darum geht es, wenn diese Gesinnungspolizisten fordern, dass Niggli schweigen oder gar seinen Posten verlieren solle.“

Wie flexibel sind Sie, Herr Rüße?

Im September nächsten Jahres sind Bundestagswahlen. Ende 2017 läuft die EU-Genehmigung für Glyphosat aus. Die designierte Grüne Spitzenkandidatin Kathrin Göring-Eckhard hat am letzten Wochenende im Interview mit der Bild am Sonntag die Schwerpunkte genannt, mit dem Ihre Partei in den Wahlkampf ziehen will:

„Kohleausstieg, Agrarwende, ein Einwanderungsgesetz und ein Integrationsgesetz“

Hand aufs Herz: Wie wird vor diesem Hintergrund die Diskussion um die Neuzulassung von Glyphosat laufen? Werden die Grünen die Ergebnisse der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zur Kenntnis nehmen und sachlich diskutieren oder wird es wieder im Konzert mit den üblichen Verdächtigen BUND, Campact, Umweltinstitut München, testbiotech und Co eine Spurensuche im Nanogramm-Bereich geben? Muttermilch, Urin, Bier, Wein, Tampons hatten wir schon. In den USA haben sie jetzt Glyphosat in Impfstoffen gefunden. Hm, was könnte man denn noch nehmen? Oder hat dieser Wahnsinn jetzt endlich mal ein Ende? Auch für die Behauptung, dass ausgerechnet Glyphosat die Artenvielfalt gefährdet, habe ich noch keinen Beleg gesehen.

Ich finde diese Art von Politik destruktiv: Sie machen den Menschen Angst damit. Sie zerstören das Vertrauen der Menschen in öffentliche Institutionen wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) oder die EU-Kommission. Und diese Art von Politik stellt konventionelle Landwirte an den Pranger. Sowas zersetzt das soziale Gefüge.

Ich würde diesen Dialog gerne fortsetzen, möchte Sie allerdings bitten, von Vokabular wie „Denken eingestellt“, „dämlich“, „Ansammlung von Kuriositäten“ sowie „völlig schräg“ etc. abzusehen, das habe ich nämlich auch nicht nötig

Ihre
Susanne Günther

 

Bildnachweis: Thomas Wengenroth

Print Friendly, PDF & Email

1 Kommentar zu „Lieber Herr Rüße,“

  1. Bei NR hinterlassen:

    « Völlig schräg ist auch der Ansatz, Biodiversitätsverluste nach gernteter Menge zu beurteilen. Das kann kein geeigneter Maßstab sein, wenn man das überhaupt machen wollte, müsste man mindestens das unterschiedliche Konsumverhalten (Abfallanteil, Fleischkonsum usw.) in die Berechnung integrieren. »

    Ich lese woanders auf Ihrem Blog, Sie bewirtschaften 30 Hektar Nutzfläche (18 ha Ackerland und 12 ha Grünland) mit einer Fruchtfolge von Pflanzen, die im wesentlichen für die Fütterung Ihrer Tieren (Schweine und Hereford-Rinder) bestimmt sind.

    Ist es nicht so, dass Ihr Betrieb fast ausschliesslich dem Fleischkonsum gewidmet ist ?

    Ist es auch nicht so, dass viele Biobetriebe auf ein ehebliches Mass an Viehzucht angewiesen sind, um ihre kleinkörnige Leguminosen zu verwerten und Mist und Gülle für ihre Felder zu bekommen (es sei denn, Mist, Gülle und sonstige organische Stickstoffdünger kommen unmittelbar oder mittelbar von konventionellen Betrieben, das heisst, letztendlich von künstlichem Dünger) ?

    In einem Kommentar schreiben Sie :

    « Sie haben vermutlich auch keine Antwort darauf, wie denn unsere Landwirtschaft aussehen wird, wenn die Phosphatvorkommen erschöpft sind und die Methode “Viel hilft viel” nicht mehr funktionieren wird. »

    Diese Antwort haben Sie im Bioanbau auch nicht. Der einzige Unterschied liegt darin, dass aufgrund der niedrigeren Erträge des Bioanbaus die Vorräte des Bodens in Ihrem Betrieb länger dauern würden.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: