Der Wahlerfolg von Donald Trump in den USA wurde gerade in Europa mit ausgiebiger Verwunderung zur Kenntnis genommen. Die Umfragen hatten ein anderes Ergebnis erwarten lassen. Nun gibt es bei Umfragen methodische Probleme: Menschen neigen dazu, in Interview-Situationen so zu antworten, wie sie glauben, wie es von ihnen erwartet wird. Man möchte sich schließlich keinen Stress einhandeln und passt sich der vermeintlichen öffentlichen Meinung an. In den Wahlkabinen, wo kein Gegenüber eine Antwort zur Kenntnis nimmt, fielen die Entscheidungen letztendlich anders aus als in den Umfragen. In Europa war die veröffentlichte Meinung noch viel deutlicher gegen Donald Trump eingestellt als in den USA. Dementsprechend groß war die Überraschung am Morgen nach der Wahl. Wie konnte es dazu kommen? Der britische Reporter Jonathan Pie hat der Info-Elite nach der US-Wahl eine deutliche Gardinenpredigt gehalten:
Das Fazit: „The left did this“ – die Linken haben das getan. Sie haben den Kulturkrieg gewonnen und jeder, der nicht ihrer Meinung ist, ist sexistisch, rassistisch und dumm.
Donald Trump hat sich im Wahlkampf nicht an die Redeverbote der „political correctness“ gehalten, er hat damit die Schweigespirale der linken Meinungsführerschaft durchbrochen. Das muss für den Otto-Normalbürger eine Art Befreiungsschlag gewesen sein: „Seht her: Ich bin wie Ihr und das ist völlig in Ordnung so.“
Auch hierzulande werde schnell eine konservative Meinung, die nicht zum linken Mainstream passt, als „Hass“ umetikettiert, stellt die Autorin Meike Lobo fest. Sie schreibt in ihrem Blog:
„Man mag es als Zivilcourage feiern, bestimmten kleingeistigen Meinungen keine Plattform geboten zu haben, aber auf gesellschaftlicher Ebene habe ich damit große Schwierigkeiten. Die soziale Ausgrenzung von Konservativen beispielsweise als frauen-, schwulen- und flüchtlingshassende Nazis führt ja keineswegs dazu, dass diese konservativen Meinungen verschwinden und die Gesellschaft fortschrittlicher und offener wird.“
Im kommenden Jahr sind in Deutschland Bundestagswahlen. Welche Lehren sind zu ziehen?
Es ist nicht hilfreich, einfach den sozialen Netzwerken den Schwarzen Peter zuzuschieben. Wenn Journalisten sich über die Social Networks beschweren und deren angeblich minderwertige Inhalte, diskreditieren sie deren Nutzer. Dabei wurde ein großer Teil der in den sozialen Netzwerken geteilten Inhalten selbst von Journalisten erstellt. Und: Die Medienschaffenden nutzen vor allem Facebook und Twitter auch als Quellen.
Was ist die Antwort auf die drohende Trumpisierung unserer Demokratie? Die Welt ist unüberschaubar geworden, der Alltag ein Dschungel mit immer neuen Anforderungen. Beim Ausfüllen von Anträgen für – sagen wir Elterngeld – frage ich mich oft, wie Menschen mit geringerem Bildungsgrad und/oder geringerer Frustrationstoleranz sowas eigentlich bewältigen. Die Menschen brauchen Orientierung und das Gefühl, das alles gut wird.
Politik und Medien müssen sich einen anderen Duktus zulegen: Die Akteure müssen runter vom hohen Ross. Es bringt nichts, in Fernseh-Tribunalen Vertreter von Protestparteien abzuurteilen. Im Gegenteil: Dadurch werden die Gräben nur tiefer.
Giovanni di Lorenzo schreibt in der Zeit:
„Es kann also niemanden ernsthaft verwundern, dass schon lange Raum frei geworden war für eine neue politische Gruppierung, die nun selbst im rot-alternativen Berlin aus dem Stand fast so viele Stimmen holte wie die Grünen. Die haben mit der Rettung unserer Welt immer noch ein Menschheitsthema auf ihrer Seite, aber die AfD bedient sich eines nicht minder starken Menschheitsreflexes: der Abwehr des Fremden, der Überforderung durch zu viel Neues.“
Es braucht auch mehr Ehrlichkeit. Der Philosoph Wolfram Eilenberger hat im Januar 2016 in der TV-Sendung „Markus Lanz“ etwas Bemerkenswertes über die Flüchtlingskrise gesagt (ca. bei min. 12:20):
„Jeder der einen klaren Blick auf die Dinge hat, muss sich derzeit eingestehen, dass wir die Lösung für dieses Problem nicht haben. Wir sollten anfangen, eine Perplexität uns einzugestehen. Und wenn die Politiker jetzt in Schablonen – auch im Wahlkampf – weiterhin vorgeben, dass sie Lösungen anzubieten haben, dann lügen sie sich selbst an und sie lügen uns an.“
Auch im Bundestagswahlkampf werden Parteien versuchen, einfache Antworten auf vermeintlich einfache Fragen zu geben. Wir sollten darauf vorbereitet sein.
If you want a country with 63 different genders, vote Hillary.
If you want a country where men are men and women are women, vote Trump.
— Joe Walsh (@WalshFreedom) November 6, 2016
Anne Will fragte gestern Angela Merkel im Interview, warum sie glaube, Teil der Lösung beim Problem des Elitenverdrusses zu sein und nicht Teil des Problems (ca. min. 14:25). Die Kanzlerin antwortet:
„Schauen Sie, ich tue mich unheimlich schwer mit dieser Unterscheidung der Bevölkerung, wo wir das gleiche und geheime Wahlrecht haben in Deutschland, wo ein Teil für sich in Anspruch nimmt „Ich bin das Volk“ und der andere Teil, ich weiß gar nicht, wer das definiert, ist dann die Elite. Ich bin 1989, als die Mauer aufging, mit Freude dazu gekommen, jetzt auch Teil eines Volkes zu sein, das seine Meinung sagen kann, das zur Wahl gehen kann, und ich überhöhe meinen Stimmenanteil nicht, ich habe eine Stimme unter allen Wahlberechtigten und ich bin mit Mehrheiten gewählt worden, die mir politische Gestaltung ermöglicht haben. Und deshalb finde ich, jeder kann sich einbringen. Aber dass nur die, die „nein“ sagen und die kritisieren, jetzt plötzlich das Volk sind und alle anderen, die jeden Tag zur Arbeit gehen und Probleme lösen und sich versuchen einzubringen und nicht ganz so viel kritisieren oder kritisieren und Lösungen anbieten, dass die plötzlich nicht mehr das Volk sind und dass irgendwo dazwischen die Elite beginnt, das finde ich, will ich für mich nicht annehmen. (…) Ich bin genauso das Volk, wie andere das Volk sind.“
Was hat sie jetzt eigentlich gesagt? Der Bezug auf den Spruch „Ich bin das Volk“ (eigentlich: „Wir sind das Volk“) deutet an, dass sie sich vor allem auf die Pegida-Bewegung bezieht, die den Spruch „Wir sind das Volk“ bei den Demos benutzt. Ihr müsste jedoch eigentlich klar sein, dass der Verdruss in der Bevölkerung über diese zur Randerscheinung geschrumpften Bewegung hinaus geht. Menschen, die arbeiten gehen, machen anscheinend nicht soviel Ärger – wen wundert’s? Der Begriff „Elite“ wird derzeit vor allem auch in den Analysen zur US-Wahl benutzt, und zwar von Kommentatoren aus allen politischen Lagern. So zu tun, als ob er keinen Sinn macht, ist schlicht ignorant. Kurzum: Sie zieht sich den Schuh nicht an.
Menschen, die Merkel kritisieren wie der Psychiater Hans-Joachim Maaz aus Halle, der nach dem Interview bei Anne Will zu Worte kam, werden in der Medienlandschaft gleich abgekanzelt. So schreibt Thorsten Denkler in seiner TV-Kritik in der Süddeutschen Zeitung:
„Hans-Joachim Maaz. Ein Psychoanalytiker aus Halle, Ex-Chefarzt, 70 Jahre alt. Das ist jetzt an sich nichts Verwerfliches. Nur dass Maaz redet, als müsste er selbst dringend auf die Couch.“
So wird das nichts, liebe Elite. Maaz ist ein viel zitierter Experte, wenn die Hintergründe der Pegida-Bewegung thematisiert werden. Ihn schlicht als plemplem hinzustellen, liefert quasi den performativen Beweis, dass Medien und Politik hinterherhinken bei der Analyse der aktuellen Problemstellung. Kommt in die Puschen, kein Jahr mehr bis zur Bundestagswahl, sonst droht auch hier ein Denkzettel oder mit den Worten des Politikwissenschaftlers Herfried Münklers:
„Viele derer, die populistisch wählen, ich vermute mal, ziemlich egal, ob links- oder rechtspopulistisch, sind enttäuscht von dem System, fühlen sich ausgegrenzt, abgehängt und machen gewissermaßen politisch einmal ihr Bäuerchen. Das heißt nicht, dass sie eine sehr genaue Vorstellung davon haben, wie Politik anders läuft. Das weiß man ja auch aus den Umfragen, dass viele AfD-Wähler sich gar nicht mit deren Programmatik beschäftigt haben. Sondern sie wollen Denkzettel verteilen, gelbe Zettel ankleben und drauf schreiben: Hallo, das Volk, also ich, war hier.“
Bildnachweis: Bundesregierung/Denzel
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