Unfähig zur Selbstkritik

Angesichts anstehender Beitragserhöhungen wird derzeit viel über die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) für unsere Gesellschaft debattiert. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben einen Programmauftrag. Sie haben eine Grundversorgung mit Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung sicherzustellen. Für das Programm gelten Grundsätze, u.a. Ausgewogenheit, Achtung der Menschenwürde und Wahrheitstreue. Vor diesem Hintergrund stehen zum Teil harte Vorwürfe im Raum, darunter Tendenzjournalismus, unlautere Recherche-Methoden und Voreingenommenheit (Thesenjournalismus). Als Reaktion darauf veröffentlichen Pressestellen manchmal den Wortlaut der Journalistenanfragen, zum Teil sogar, bevor die Berichte erscheinen bzw. gesendet werden.

Das alles wäre zu verschmerzen, wenn die Akteure des ÖRR eine transparente Fehlerkultur pflegen würden. Diese fehlt m. E. jedoch völlig: Ich habe in den vergangenen Jahren immer mal wieder eine Programmbeschwerde eingereicht zu verschiedenen Themen bei verschiedenen Landesrundfunkanstalten und wirklich nie war in den Antworten auch nur ein Funken Selbstzweifel zu spüren. Ich will hier einmal ein Beispiel darstellen, das durch die Debatte um die Corona-Impfung neue Aktualität gewonnen hat.

Am 19. Dezember 2018 sendet das ARD-Polit-Magazin „Report Mainz“ im Ersten einen Beitrag über die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs (HPV-Impfung):

Der Beitrag kritisiert eine Aussage in der Elternbroschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: „Schwere Nebenwirkungen wurden weltweit nach 270 Millionen Impfdosen nicht beobachtet“. Als Kronzeugin kommt eine Mutter zu Wort, die bei ihrer Tochter gesundheitliche Beschwerden nach der Impfung festgestellt hat. Des weiteren wird der Kinderarzt des Mädchens interviewt sowie diverse Experten (zur fachlichen Einordnung dieser Personen siehe die Stellungnahmen unter „Links“). In dem Beitrag wird suggeriert, als würden öffentliche Einrichtungen systematisch Impfrisiken im Sinne der Pharmaindustrie herunterspielen. Die dezidierte Position der WHO, auf die sich die Bundeszentrale bezieht, wird in dem Beitrag ebenso verschwiegen wie die Erfolge der HPV-Impfung als Prävention gegen Gebärmutterhalskrebs. Mit Klaus Hartmann etwa kommt ein einschlägiger Impfkritiker zu Wort, der aber nicht als solcher eingeführt wird, sondern als „Mediziner“.

Ich habe eine Programmbeschwerde zu diesem Beitrag verfasst mit dem Resumee:

„Unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Evidenz ist die Sachlage bei der HPV-Impfung klar und nicht anzuzweifeln. Es gibt immer Randmeinungen, diese müssten aber als solche einsortiert werden. Die Berichterstattung von Report Mainz untergräbt das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen wie das Paul-Ehrlich-Institut, die STIKO sowie die BZgA. Das schafft den Nährboden für Verschwörungstheorien und zersetzt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Den größten Schaden allerdings tragen Kinder und Eltern davon, die sich aufgrund Ihrer unsachlichen Berichterstattung gegen die Impfung entscheiden. Das ist alles anders als gewissenhaft!“

Ich bekam eine Antwort, in der gar nicht auf meine sachlichen Kritikpunkte eingegangen, sondern lediglich die Expertise der befragten vermeintlichen Experten gelobt wurde (Schriftwechsel im Wortlaut). Der damalige Programmdirektor Christoph Hauser schreibt:

„Gestatten Sie mir zudem den Hinweis, dass Chefredakteur Fritz Frey, der „Report Mainz“ moderiert, in seiner Abmoderation des Beitrags explizit deutlich gemacht hat, dass der Film „kein Plädoyer gegen das Impfen“ sei.“

Das ist ein schwacher Trost und nicht überzeugend, wenn man sich den suggestiven Aufbau des TV-Beitrags vergegenwärtigt.

Ich antwortete, indem ich auf eine Veranstaltung der Wissenschafts-Pressekonferenz „The impact of fake news and fake science: Eine Geschichte aus Japan“ verwies. Angekündigt war die japanische Ärztin Riko Muranaka, die für ihren Einsatz für Aufklärung zur HPV-Impfung mit dem John Maddox Preis ausgezeichnet wurde. Auf diesen Veranstaltungshinweis bekam ich keine Antwort. Anschließend schrieb ich eine weitere E-Mail, in der ich Programmdirektor Hauser auf ein Interview verwies, das die Medizinjournalistin Nicola Kuhrt von MedWatch mit Riko Muranaka geführt hatte. Ich schrieb:

„Dr. Muranaka schildert, wie fatal „kritische“ Berichterstattung über Impfrisiken in einzelnen Ländern wirken kann. Deswegen möchte ich meine Programmbeschwerde aufrecht erhalten: Die Berichterstattung von „Report Mainz“ über die HPV-Impfung war und ist verantwortungslos. Ich erwarte von Ihrer Sendeanstalt, dass Sie das öffentlich klarstellen.“

Programmdirektor Christoph Hauser weist in seiner Antwort die Aufforderung zurück:

„Sie werden verstehen – vor allem vor dem Hintergrund meiner E-Mail vom 17. Januar 2019 –, dass ich Ihre erneute Kritik nicht teile und deshalb auch keine Notwendigkeit einer öffentlichen Klarstellung durch die Redaktion sehe. In meinem Schreiben hatte ich Ihnen bereits dargelegt, wie intensiv und differenziert sich die Kolleginnen und Kollegen der „Report Mainz“-Redaktion mit der Thematik beschäftigt haben.“

Abermals: Die Versicherung, dass sich die Redaktion intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, tröstet mich nicht – daran hatte ich auch gar nicht gezweifelt. Das ändert aber nichts daran, dass der Beitrag von Report Mainz nicht ausgewogen ist. Hier wird eine falsche Balance („false balance“) vorgetäuscht zwischen der wissenschaftlichen Evidenz und Einzelmeinungen.

Rund zwei Jahre später wurde jetzt das Thema HPV-Impfung in der Talksendung „hart aber fair“ thematisiert (ca. ab Min. 27:20). In Japan sei die Impfquote nach Berichten über Nebenwirkungen dramatisch eingebrochen:

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar rechnet in der Sendung vor, was es bedeutet, wenn wie in Japan die Impfquote von 70 Prozent auf 1 Prozent fällt: Jedes Jahr sterben 600 bis 800 Frauen, die nicht hätten sterben müssen.

Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Bereitschaft der Bevölkerung, sich gegen das neue Corona-Virus impfen zu lassen, vermutlich nicht reichen wird, um die benötigte Immunität zu erreichen. Gerne wird in den Medien auf die Rolle der Sozialen Medien bei der Verbreitung von Fake-News und Desinformation verwiesen. Leider sind es aber oft die Medien selbst, die der Verbreitung von Verschwörungstheorien Vorschub leisten.

• Die HPV-Impfung ist eine sichere Impfung – Stellungnahme der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur HPV-Impfung
Kinder- und Jugendärzte zum Report-Beitrag über angebliche HPV-Impfrisiken
Öffentlich-rechtliche Impfkritik
Schriftwechsel der Programmbeschwerde im Wortlaut
• HPV-Impfung: Wie Japan von einem Anti-Impf-Tsunami erfasst wurde. Gastbeitrag der japanischen Ärztin Riko Muranaka für MedWatch

Bildnachweis: Screenshot von der SWR-Website

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5 Kommentare zu „Unfähig zur Selbstkritik“

  1. -vielleicht sind sie auf die Centbeträge reingefallen, es geht um weitere Millionen (1,6 Mrd?) für den weltweit teuersten Staatsfunk
    -zum C-Thema haben sie sich offensichtlich immer noch nicht informiert, Ihre Überschrift sollten sie sich selbst zu Herzen nehmen, sind Sie sich sicher, sich ernsthaft mit dem Sachverhalt auseinander gesetzt zu haben?
    -ich befürchte, sie haben Angst, sich von Ihrem Weltbild zu trennen, eigentlich ist diese Veranstaltung so plump, dass es jeder sehen könnte, aber wir werden von unserern Emotionen regiert und es ist echt hart, sich Lebenslügen einzugestehen, hier ein Interview mit einem Ex-Bayer-Manager, wird vielleicht auch bald (wie so vieles) von Youtube zensiert sein: https://youtu.be/sNFizpX0g14

    Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, dass sie Ihre Vernunft nicht nur beim Thema Gentechnik und Landwirtschaft zum Einsatz bringen… sorry, klingt oberlehrerhaft, ist aber nicht so gemeint, soll aber motivieren 🙂

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