Katze aus dem Sack: „Tierzahlen reduzieren“

Mitte März ist die 100-Tage-Schonfrist rum, die neuen Amtsinhabern gewährt wird, sich in ihrer neuen Aufgabe zurechtzufinden. In der Landwirtschaftsblase ist zunehmend eine gewisse Nervosität zu spüren, weil die neue Leitung im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) noch nicht viel Konkretes zu geplanten Maßnahmen geäußert hat. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wirft jetzt neues Licht auf das Thema Ernährungssicherheit und gibt Anlass, die eingeschlagene Extensivierungslinie in der Agrarpolitik zu hinterfragen. Das BMEL kontert mit dem Verweis auf den Getreideverbrauch in der Nutztierhaltung.

Vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr hatten Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Wahlprogramm eine Reduzierung der Nutztierbestände sowie eine andere Form der Tierhaltung gefordert:

Industrielle Massentierhaltung und Billigfleischexport in alle Welt sind mit einer klimagerechten Zukunft nicht vereinbar. Es braucht einen Ausweg. Ein Teil der Lösung ist, dass deutlich weniger Tiere gehalten werden als bisher und diesen Tieren ein wesentlich besseres Leben ermöglicht wird. Tiere brauchen mehr Platz, Auslauf im Freien und Beschäftigung – das wollen wir artspezifisch verbindlich regeln und uns auch auf EU-Ebene für eine deutliche Anhebung der Tierschutzstandards einsetzen.

„Deutschland. Alles ist drin.“, S. 53

Konnten die Grünen diese Forderung bei der Regierungsbildung durchsetzen? Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht nichts Konkretes zum Bestand der Nutztiere, nur diese verklausulierte Formulierung:

Die Entwicklung der Tierbestände soll sich an der Fläche orientieren und wird in Einklang mit den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutzes (Ammoniak/Methan) gebracht. Wir wollen die Emissionen aus Ammoniak und Methan unter Berücksichtigung des Tierwohls deutlich mindern. Die Landwirte sollen auf dem Weg zur Klimaneutralität im Rahmen des Umbaus der Nutztierhaltung unterstützt werden.

„Mehr Fortschritt wagen“, Seite 43

Wenn man die Formel „mehr Tierwohl bei weniger Emissionen“ jedoch zu Ende denkt, wird deutlich, dass das auf eine Reduzierung der Tierbestände hinauslaufen muss. Denn: Mehr Tierwohl bedeutet Offenställe, Auslauf, Wintergärten, also alles Baukonstruktionen, bei denen zwangsläufig mehr Emissionen entstehen als in geschlossenen Stallanlagen. Wenn trotzdem Emissionen gesenkt werden sollen, bleibt nur, insgesamt weniger Tiere zu halten.

Bislang wurde aus dem BMEL wenig publik, wie die Leitung des Ministeriums die Landwirtschaft in Deutschland konkret gestalten will: Der Ökolandbau wurde zum Leitbild für eine nachhaltige Landwirtschaft erhoben, Agrarflächen sollen mit Photovoltaik-Anlagen zur Stromgewinnung beitragen und der Klimaschutz kommt in nahezu jeder Rede vor. Außer der Absichtserklärung, eine Herkunfts- und Haltungskennzeichnung einzuführen, sowie der Versicherung, die Landwirte unterstützen zu wollen, blieben gerade für die Tierhalter viele Fragen offen. Jetzt wird Cem Özdemir in einem Interview mit der Agrar-Fachzeitschrift topagrar folgendermaßen zitiert:

Deutschland hat bei Weizen einen Selbstversorgungsgrad von fast 120 Prozent. Hier sind wir gut aufgestellt. Gleichzeitig geht aber fast 60 Prozent des Gesamt-Getreides in Deutschland nicht in die direkte Nahrungsmittelversorgung, sondern landet in Futtertrögen von Tieren. Und diese Tiere sind häufig nicht einmal für den Verzehr bei uns im Land gedacht, sondern für den Export. Global gehen 47 Prozent der Getreideerzeugung ins Tierfutter. Wenn wir jetzt vom Recht auf Nahrung sprechen, dann sollten wir nicht die Axt an Klima- und Naturschutz legen, sondern gemeinsam dafür sorgen, dass die Agrarproduktion nicht mehr vorrangig im Futtertrog landet, sondern Menschen direkt versorgt.

topagrar

Hierzu ist zu sagen, dass nicht jeder Weizen, der hierzulande geerntet wird, die notwendige Qualität aufweist (Gehalt an Klebereiweiß), um als Backweizen verwendet zu werden. Außerdem gehören zu einer guten landwirtschaftlichen Praxis weite Fruchtfolgen: Backweizen nach Backweizen nach Backweizen laugt den Boden aus, provoziert Pflanzenkrankheiten und sorgt für die Vermehrung der Kultur angepasster Beikräuter. Deswegen wechseln die Kulturarten auf den Äckern idealerweise von Jahr zu Jahr. Die Erweiterung der Fruchtfolgen um Leguminosen wie Ackerbohne, Erbsen und Lupinen wird vom Staat extra gefördert. Verwendet werden diese Marktfrüchte zum größten Teil als Tierfutter. Es ist auch nicht jeder Standort für den Anbau von Qualitätsweizen geeignet, so dass auf andere Getreidearten zurückgegriffen werden muss. Triticale, eine Kreuzung als Weizen und Roggen, ist zum Beispiel eine verhältnismäßig anspruchslose Getreideart, die nahezu ausschließlich zu Futterzwecken angebaut wird. Außerdem muss bei Özdemirs Rechnung noch berücksichtigt werden, dass Mischfutterwerke auch Nebenprodukte wie Kleie aus der Erzeugung von Lebensmitteln verarbeiten. Es ist also schwerlich so eindimensional, wie der Minister es darstellt – auch auf globaler Ebene nicht: Die FAO hat 2017 eine Studie zur Teller/Trog-Diskussion veröffentlicht mit dem Ergebnis, dass 86 Prozent des Tierfutters nicht für die menschliche Ernährung geeignet sind. So gesehen hilft die Tierhaltung, Produkte aus dem Pflanzenbau zu verwerten und Verwurf zu vermeiden. Ähnlich sieht es bei den Fleischexporten aus: Es werden in der Regel nicht ganze Tiere exportiert, sondern vor allem die Teile (Köpfe, Füße etc.), die Verbraucher in Deutschland nicht so gerne essen. Importiert werden hingegen Edelteile wie Schweinefilet.

Schweineschwänzchen: Nicht gerade der Renner in deutschen Supermärkten

Durch Ausbrüche der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Deutschland seit Ende 2020 ist der Export von Schweinefleisch vor allem nach Asien weggebrochen mit fatalen Folgen für Ferkelerzeuger und Schweinemäster hierzulande. Die Bestände an Zuchtsauen und Mastschweinen nehmen entsprechend ab. Unterm Strich ist die EU ein Netto-Importeur von Lebensmitteln, das heißt: Wir importieren mehr Lebensmittel als wir exportieren, und das als Gunststandort!

Auf die Nachfrage, wie sich der Minister das konkret vorstelle, führt Cem Özdemir weiter aus:

Ich sage das immer wieder: Landwirtschaft ist keine Insel, sondern ein gesellschaftliches Bindeglied. Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir auch die Tierbestände reduzieren. So senken wir auch die Abhängigkeit von Futtermitteleinfuhren. Es geht ja nicht darum, dass wir abgeschirmte Gesellschaften entwickeln. Ich bin ein Unterstützer des Welthandels, aber wir müssen die Abhängigkeiten reduzieren.

topagrar

Damit ist die Katze aus dem Sack: Der Landwirtschaftsminister will die Tierbestände in Deutschland reduzieren mit dem Ziel, das Klima zu schützen. Überraschend kommt diese Forderung nicht, die Anzeichen im Wahlprogramm und Koalitionsvertrag waren schwerlich zu übersehen. Als Replik auf die neuen Probleme, die durch den russischen Angriffskrieg entstanden sind, ist die Forderung nicht geeignet. Nur weil wir weniger Tiere halten, werden wir nicht automatisch mehr Qualitätsweizen ernten. Die Menge des gesamten in Deutschland geernteten Getreides sinkt seit Jahren. Und: Das Problem ist, dass weniger Tierhaltung in Deutschland nicht automatisch zu weniger Treibhausgas-Emissionen führt, solange sich der Konsum nicht ändert und das Fleisch dann im Ausland produziert wird. Dem Klima ist damit nicht geholfen. Özdemir will Abhängigkeiten reduzieren? Dann sollte er zum Beispiel die Voraussetzungen für den Anbau von Winterraps wieder erleichtern. Anbaufläche und Erträge gehen seit Jahren zurück, weil Wirkstoffe für die Saatgutbeizung verboten worden sind. Rapsextraktionsschrot ist eine wichtige Eiweißkomponente in der Fütterung. Während die Menge der Soja-Importe seit Jahren konstant ist, steigen die Raps-Importe massiv.

Quelle: OVID

Offen bleibt, wie eine Reduzierung der Tierzahlen erreicht werden soll. Wird es wie in den Niederlanden Abfindungsprämien für Betriebe geben, die aufhören? Oder müssen alle Betriebe ihren Tierbestand um einen gewissen Prozentsatz verkleinern? Aufgrund der jeweils schwierigen Marktsituation in den Bereichen Ferkelerzeugung, Schweinemast und Milchwirtschaft stellen zurzeit viele Höfe ihren Betrieb ein. Die neuen Rekordwerte bei den Getreide- und Energiepreisen verschärfen diese Situation, denn die Kosten steigen und es kommt zu Lieferengpässen. Erste Mischfutterwerke haben angekündigt, Kontrakte möglicherweise nicht erfüllen zu können, weil sie derzeit nicht an Rohware kommen. Also wenn Minister Özdemir weiterhin nichts tut, werden die Tierzahlen im Land von ganz alleine weniger …

Bildnachweis: Max Kleinen/Unsplash

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