Postfaktischer Adventskalender, Teil 19: Schnittmuster für Schreckensmeldung

Stellen Sie sich vor, Weihnachten steht vor der Tür: Die Menschen sind spendabel und großzügig und bereit, ein gutes Werk zu tun. Und: Sie betreiben eine Organisation, die von Spenden lebt – was würden Sie jetzt tun? Wahrscheinlich irgendwie auf ihre Organisation aufmerksam machen. Wie macht man das heutzutage – medienwirksam? Am besten mit einer Meldung, die Emotionen hervorruft, am besten Angst, denn das ist ein sehr starkes Gefühl.

Da die Analysemethoden für chemische Substanzen heute sehr sensibel sind, können Sie nahezu alles in Nanogramm-Konzentrationen in Lebensmitteln nachweisen. Lachs als Filet oder geräuchert ist zu Weihnachten sehr beliebt – das könnte Aufmerksamkeit erwecken. Und dann nehmen wir eine Substanz, die einmal eine Zulassung als Pflanzenschutzmittel hatte, dann können wir nämlich schreiben „Pestizid“ oder „Pflanzengift in Lebensmittel xy nachgewiesen“ – sowas druckt die BILD-Zeitung garantiert – und fertig ist meine Schreckensmeldung zu Weihnachten, mit der ich mich im öffentlichen Bewusstsein rechtzeitig zurückmelde.

Gesagt, getan: Greenpeace titelte in der letzten Woche: „ETHOXYQUIN: VERBOTENES PFLANZENSCHUTZMITTEL IN SPEISEFISCH„. Die Umweltorganisation schreibt:

„Greenpeace hat Fische aus deutschen Märkten untersucht – und in mehr als der Hälfte bedenkliche Pestizidrückstände gefunden. Wie kommt ein Pflanzenschutzmittel in den Lachs?

Das Vorsorgeprinzip, wie es in Europa praktiziert wird, ist für den Verbraucherschutz eine tragende Säule: Wenn unklar ist, ob eine Sache dem Menschen schadet, war es das mit der Zulassung. So geschehen bei dem Pestizid Ethoxyquin. Weil die EU-Kommission Bedenken äußerte, ist das Pflanzenschutzmittel in der Europäischen Union seit 2011 vom Markt – als Futtermittelzusatz hingegen ist es weiterhin zugelassen.“

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Screenshot der Google News-Suche: Medien machen PR für Greenpeace

Im entsprechenden Beschluss der EU-Kommission lauten die Bedenken folgendermaßen:

„Die Bewertung dieses Wirkstoffs führte zu einer Reihe von Bedenken. Insbesondere war es aufgrund des begrenzten Umfangs der toxikologischen Daten nicht möglich, eine zuverlässige Expositionsbewertung für Verbraucher, Anwender und Arbeiter durchzuführen; die Daten wurden als nicht ausreichend für die Festlegung von Werten für die annehmbare tägliche Aufnahmemenge (ADI — Acceptable Daily Intake), die akute Referenzdosis (ARfD — Acute Reference Dose) und die annehmbare Anwenderexposition (AOEL — Acceptable Operator Exposure Level) erachtet. Außerdem reichten die vorgelegten Daten nicht aus, um eine Rückstandsdefinition für Ethoxyquin und seine Metaboliten festzulegen. Darüber hinaus fehlten Daten, aus denen Schlüsse über das gentoxische Potenzial und die Ökotoxizität einer Verunreinigung (aus Vertraulichkeitsgründen als Verunreinigung 7 bezeichnet) in den technischen Spezifikationen gezogen werden könnten. Die zur Verfügung stehenden Daten waren auch nicht ausreichend für eine vollständige Bewertung des Risikos für die Umwelt und Nichtzielorganismen. Somit konnte anhand der vorliegenden Informationen nicht der Schluss gezogen werden, dass Ethoxyquin die für die Aufnahme in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG erforderlichen Kriterien erfüllt.“

Es geht also nicht darum, dass der Verdacht besteht, dass die Substanz in irgendeiner Weise schädlich für Mensch und Umwelt ist, sondern darum, dass die vom Antragsteller beigebrachten Unterlagen nicht reichen, um den Zulassungsprozess abzuschließen. Eine Substanz, die nicht als Pflanzenschutzmittel zugelassen ist, darf nicht als Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Die von Greenpeace verwendete Formulierung „verbotenes Pflanzenschutzmittel“ ist daher irreführend, denn explizit verboten wurde Ethoxyquin nicht. Im Gegenteil: Ethoxyquin ist als Konservierungsmittel für Tierfutter zugelassen.

Um der Schlagzeile Nachdruck zu verleihen, behauptet Greenpeace, dass der Grenzwert für Fleisch in diversen Produkten x-fach überschritten wäre. Doch es ist eigentlich gar nicht so eindeutig, ob der genannte Grenzwert für Fleisch hier überhaupt gilt. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg berichtete 2015 über Funde von Ethoxyquin in Lachs und schreibt zur rechtlichen Beurteilung der Ergebnisse:

„Eine rechtliche Beurteilung der Ethoxyquinbefunde ist für die Überwachungsbehörden sehr schwierig. Ethoxyquin ist als Zusatzstoff für Lebensmittel nicht zugelassen. Als Pestizid unterliegt Ethoxyquin der VO (EG) Nr. 396/2005. Allerdings ist in dieser Verordnung die Matrix Fisch noch nicht geregelt, so dass hier die nationale Rückstands-Höchstmengenverordnung (RHmV) mit einem allgemeinen Höchstgehalt von 0,01 mg/kg Anwendung findet.

Da Ethoxyquin aber über eine Zulassung als Futtermittelzusatzstoff mit einem Höchstgehalt von 150 mg/kg verfügt, ist die RHmV in diesem Fall nicht anwendbar. Die RHmV umfasst nicht Rückstände in Lebensmitteln, die aus einer erlaubten Anwendung eines solchen Stoffes als Futtermittel herrühren. Ein rechtlich verbindlicher Höchstgehalt für Ethoxyquin ist somit nicht ableitbar. Die Zulassung als Futtermittelzusatzstoff wird aktuell von der EFSA überprüft.“

Die von Greenpeace genannte Verordnung bezieht sich auf Pestizidrückstände, da Ethoxyquin aber keine Zulassung als Pestizid mehr hat, jedoch als Futterzusatzstoff erlaubt ist, ist nicht eindeutig klar, ob die Tabelle hier Anwendung findet.

Die Japanische Behörde für Lebensmittelsicherheit FSCJ („Food Safety Commission of Japan“) hat für Ethoxyquin einen ADI-Wert („ADI“ = „acceptable daily intake“) von 0,0083 mg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag festgelegt:

„Accordingly, FSCJ specified the ADI for ethoxyquin as 0.0083 mg/kg body weight/day, based on this LOAEL and applying a safety factor of 300 (10 for species difference, 10 for individual difference and 3 for the adopted LOAEL value).“

Legt man diesen Wert zugrunde, müsste eine Person mit 80 kg Körpergewicht von dem am stärksten belasteten Produkt im Greenpeace-Test täglich mehr als sechs Packungen essen, um auch nur in die Nähe einer Gesundheitsgefährdung zu kommen.

adi-ethoxyquin

Das JMPR („Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues“) hat 2005 einen etwas strengeren ADI-Wert von 0,005 mg/kg/Tag festgelegt. Das wären für die Person mit 80 kg Körpergewicht immer noch mehr als dreieinhalb Packungen von dem am stärksten belasteten Produkt. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass die ADI-Werte von einer Dauerexposition ausgehen, also von einer täglich wiederkehrenden Aufnahme. Also keine Bange, wenn Sie Weihnachten mal eine ganze Packung Räucherlachs alleine essen.

Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg hat bereits in 2005 und 2008 über Rückstände von Ethoxyquin in Lachs bzw. Forellen berichtet. In diesem Sommer sendete das ARD-Magazin „plusminus“ einen Beitrag über Ethoxyquin-Funde in Zuchtlachs. Das scheint somit ein Lebensmittelskandal zu sein, der beliebig replizierbar ist.

In diesem Zusammenhang ist auch folgende Aussage von Greenpeace interessant:

„Laut Toxikologen ist die Aufnahme von Ethoxyquin in bislang nachgewiesenen Rückstandsmengen zwar nicht akut gesundheitsgefährdend. Allerdings gibt es keine Studien zur Langzeitwirkung: Was Ethoxyquin letztlich mit dem menschlichen Körper anstellt, ist nicht vollständig erforscht.“

Von welchem Inhaltsstoff von Lebensmitteln lässt sich überhaupt sagen, dass er „vollständig erforscht“ sei? Von keinem! Weil es völlig unmöglich ist, die 100-prozentige Unbedenklichkeit von Substanzen zu beweisen.

Links:

• Ist Zuchtlachs wirklich eine Giftquelle?

• GREENPEACE BASTELT EINE KAMPAGNE – UND ALLE MACHEN MIT

• Unseren täglichen Glyphosat-Skandal gib uns heute – Pflanzenschutzmittel im Bier als Lobby-Waffe

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