Die Wochenzeitung „Die Zeit“ beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe mit dem Thema Ferkelkastration. Der Artikel (€) beginnt mit den Worten:

„Oft wird behauptet, Landwirte kümmerten sich um Nutztiere. Aber das stimmt nicht. Landwirte wollen keine Hähne, keine Ziegenböcke, keine Bullen, keine männlichen Ferkel. Für die Bauern sind die Männchen keine Nutztiere, sondern das Gegenteil, Wegwerftiere. Sie geben keine Milch und legen keine Eier. Bei einigen jungen Ebern stinkt das Fleisch. Sie alle werden nicht gebraucht. Sie sollen verschwinden.“

Als Landwirt hat man nach so einer Passage keine Lust mehr weiter zu lesen. Dazu muss man noch nicht einmal Halter besagter Nutztiere sein, die pauschale Einordnung des Berufstandes reicht. Was als bewusst pointierter Einstieg gedacht war, stößt viele Tierhalter vor den Kopf. Weiter unten im Text nimmt Autorin Anne Kunze die Verve des Texteinstiegs etwas zurück:

„Sind die Bauern brutal, weil ihnen jede Moral abhandengekommen ist?
Nein. Die meisten Bauern sprechen mit großem Schmerz darüber, dass sie die Hälfte der Tiere verlieren.
Sind die Bauern gierig, weil sie um jeden Preis reich werden wollen?
Nein. Die wenigsten Bauern sind reich. Die meisten beuten sich und ihre Familien aus, stehen täglich zwölf Stunden im Stall, auch am Wochenende.“

Der Verbraucher sei auch nur zum Teil schuld an der Misere, weil er die niedrigen Preise ja schließlich gewohnt sei. Schuld seien die Politiker, das System müsse sich ändern. Die Rede ist von „Agrar-Industrie“. Idealisiert wird in dem Artikel am Ende die gute alte Zeit, als ein und dieselben Hühner noch Eier gelegt haben und zum Schlachten geeignet waren.

Es sind Texte, Filme und Features dieser Art, die den Landwirten heutzutage die Motivation rauben. Einerseits wird ihnen zwar zugestanden, dass sie wirtschaftlichen Zwängen unterliegen, andererseits wird trotzdem der moralische Zeigefinger gereckt, wenn in der Praxis der Wirtschaftlichkeit der Vorzug gegeben wird. Dabei sind die Bauern nur die eine Seite der Medaille in einer hochspezialisierten und arbeitsteiligen Gesellschaft.

Dieses hochaktuelle Spannungsfeld ist Thema eines neuen Buches, das heute erscheint: In „Zwischen Bullerbü und Tierfabrik“ beschreibt Andreas Möller, wie sich die Sicht auf die Landwirtschaft in den letzten Jahren verändert hat und wo sich Schieflagen entwickelt haben. Möller ist promovierter Wissenschaftshistoriker und leitet die Abteilung „Unternehmenskommunikation und Politik“ beim Maschinenbau-Unternehmen Trumpf.

Landwirten dürfte das Buch streckenweise runtergehen wie Öl: Möller ordnet ein aus der Perspektive eines Menschen, der – obwohl in der Stadt aufgewachsen – positive Kindheitserinnerungen mit dem Land verbindet und über Familie und Bekanntenkreis direkte Bezüge zur Landwirtschaft hat. Es ist zwar ein Blick von außen, aber einer mit viel Empathie und Sympathie.

Der Autor greift aktuelle Debatten etwa zu den Stichworten „Insektensterben“, „Glyphosat“ sowie „Tierwohl“ auf und beleuchtet jeweils die fachlichen Hintergründe. Aus seinen Ausführungen wird deutlich: Nicht Fakten fehlen in der öffentlichen Debatte, sondern Erfahrungen: Die Menschen sehen einfach nicht mehr täglich, wie Schweinehälften auf der Straße verladen werden. Das Aufziehen, Töten und Zerlegen von Nutztieren spielt sich heute hinter verschlossenen Türen ab. Deswegen reagieren Menschen auch befremdet, wenn solche Bilder im Fernsehen gezeigt werden.

Andreas Möller spricht Empfehlungen aus, wie Bauern und Öffentlichkeit ihre Kommunikation verbessern könnten: Die Landwirte sollten u.a. mehr Geschichten erzählen, Gesicht zeigen und auch Mut zur Selbstkritik innerhalb der eigenen Branche haben. Hier ließe sich einwenden, dass das keine wirklich originellen und neuen Vorschläge sind. Trotzdem ist das Buch dazu geeignet, Brücken zu bauen: Es kann den Verbrauchern erklären, warum der Landwirt so wirtschaftet, wie er wirtschaftet, und den Landwirten verdeutlichen, warum die Menschen die Landwirtschaft so ganz anders wahrnehmen. Angesichts der zunehmenden Lagerbildung in öffentlichen Diskursen ist „Zwischen Bullerbü und Tierfabrik“ damit das richtige Buch zur richtigen Zeit.

Bildnachweis: Titelcover Random House

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