Die Sozialen Netzwerke haben Donald Trump den Sieg bei der US-Präsidentenwahl eingebracht. Diesen Vorwurf in Richtung Facebook, Twitter und Co liest man in diesen Tagen sehr häufig. Mir ist die Aussage zu einfach. Vor allem machen es sich die klassischen Medien wie Print, Hörfunk und Fernsehen zu einfach, wenn sie den Schwarzen Peter ans Internet weiterreichen. Ein Beispiel: Am Samstagabend gefiel Donald Trump das Abendprogramm im Fernsehen nicht, was er auch gleich über Twitter bekanntgab:
Just tried watching Saturday Night Live – unwatchable! Totally biased, not funny and the Baldwin impersonation just can't get any worse. Sad
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) December 4, 2016
Der Schauspieler Alec Baldwin mimte den President-elect in einer Late-Night-Show. Trumps getwittertes Missfallen war dann umgehend Thema in den Morgennachrichten des US-Fernsehens. Wenn ich mich darauf verlassen kann, dass die Nachtschicht in den Redaktionen meine Online-Beiträge gleich in TV-Präsenz ummünzt, wäre es für einen Politiker dumm, das nicht zu nutzen. Die Frage ist, warum lassen sich die klassischen Medien auf diese Spielchen ein?
Filterblasen und Echokammern
Es heißt: Die Algorithmen von Facebook würden den Nutzern nur Inhalte anbieten, die eh schon ihren Interessen und Einstellungen entsprechen. So wird das Weltbild des Users zusehends verzerrt. Ja und Nein. Ja, weil man auf Facebook sich vor allem mit Menschen zusammenschließt, die ähnliche Dinge posten und vertreten. In vielen Diskussionen findet dann nur noch eine gegenseitige Bestätigung statt. Doch, tun wir das im Offline-Leben nicht auch? Der klassische Stammtisch findet sich vermutlich auch anhand ähnlicher Interessen zusammen. Und nein, weil gerade die „gesponserten“ Inhalte aus meiner Erfahrung durchaus auch Weltanschauungen bereithalten, die ich nicht teile. Beispielsweise bekomme ich ständig Inhalte der Grünen und von Greenpeace serviert – vermutlich, weil mich die dort behandelten Themen interessieren.
Für die unter den Begriffen „Filterblase“ und „Echokammer“ beschriebenen Effekte gibt es zudem keinen empirischen Beleg. Christoph Behrens schreibt in der Süddeutschen Zeitung:
„Tatsächlich gibt es kaum Erkenntnisse darüber, wie stark sich die Filterblase konkret auf die Meinungsvielfalt auswirkt. Vorhandene empirische Studien lassen kaum auf eine extreme politische Polarisierung schließen, wie sie weithin angenommen wird.“
Doch wie war es früher eigentlich? Vor den sozialen Netzwerken, vorm Internet? War es damals um die Meinungsvielfalt wirklich besser bestellt? Michael Fleischhacker berichtet im österreichischen Onlineauftritt der Neuen Zürcher Zeitung:
„Wahr ist vermutlich das Gegenteil: Selbst der vorurteilsbeladenste Facebook-Nutzer bekommt heute eine größere Vielfalt an Meinungen präsentiert als der gebildete Kleinstadt-Arzt, der vor 20 Jahren zur österreichischen Bildungselite gehörte. Der hatte eine Regionalzeitung abonniert und eine überregionale Zeitung, und dort bekam er jeden Tag genau das serviert, was zwei Redaktionen dachten. So maßgeschneidert kann der Facebook-Algorithmus gar nicht sein, dass ein Rapid-Ultra, der sich auf Facebook anmeldet, heute nicht eine größere Vielfalt an medialen Meinungsäußerungen in seine Timeline gespült bekäme, als der Bildungsbürger des Jahres 1986 konsumierte.“
Eins steht fest: Die Netzwerke stehen in direkter Konkurrenz zu den klassischen Medien und gerade junge Mediennutzer bevorzugen die Online-Inhalte. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass reflexhaft auf das Internet gezeigt wird, wenn es um Schuldzuweisungen geht. Doch Print und Fernsehen müssen sich schon fragen lassen, worin ihre spezielle Leistung besteht. Schnelligkeit ist es jedenfalls nicht. Als im Frühsommer nach starken Regenfällen Ortschaften in Süddeutschland überschwemmt worden sind, wurden am Sonntagabend bereits Videos von Augenzeugen über Facebook weitergereicht, während im Fernsehen nichts von der Katastrophe zu sehen war. Erst am Montagmorgen machten sich Reporter auf den Weg. Die TV-Berichterstattung über den Amoklauf in München zog massiv die Tweets der Münchener Polizei als Quelle heran: „Auf Twitter heißt es …“ – Na toll, Twitter habe ich selbst, dafür hatte ich nicht den Fernseher eingeschaltet.
Fake News
Facebook verbreitet Fake News, heißt es. Das komme daher, dass keiner die Nachrichten auf Facebook kontrollieren würde. Zur Verbreitung von Fake News braucht es aber gar nicht Facebook, sondern nur die Deutsche Presse-Agentur (dpa) und unkritische Redaktionen, die die Tickermeldung einfach übernehmen. Als die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Sommer 2015 meldete, bei einer Stichprobe den Herbizid-Wirkstoff Glyphosat in Muttermilch gefunden zu haben, war es vor allem der dpa zu verdanken, dass diese „Sensation“ in Deutschland die Runde machte. Die Agentur-Redakteurin verlieh der Meldung erst den richtigen Spin, indem sie eine Einschätzung der emeritierten Wissenschaftlerin Irene Witte, Professorin am Institut für Toxikologie der Universität Oldenburg, einholte. Diese fand die Ergebnisse „untragbar“ und besorgniserregend. Dadurch dass die „Experten“-Einschätzung mit dem Text mitgeliefert wurde, haben sich viele Journalisten das Gegenchecken erspart, falls sie das bei Agenturmeldungen überhaupt in Betracht ziehen. Dabei hätte ein Blick auf die Untersuchungsergebnisse gereicht, um stutzig zu werden: Es handelt sich nämlich um ein zweiseitiges Befundfax aus einem veterinärmedizinischem Labor und ist unterschrieben von einer Tierärztin. Bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel der Tagesspiegel oder der Stern, haben die Redaktionen nicht selbst hinterfragt, inwieweit die Ergebnisse plausibel sind und ob eine Gesundheitsgefahr besteht. Als im Februar 2016 das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit eigenen Tests darauf aufmerksam machte, dass Glyphosat nicht in Muttermilch zu finden ist, mussten die Grünen zurückrudern.
Leider produzieren und verbreiten auch die klassischen Medien Fake News und viel von dem Blödsinn, der auf Facebook geteilt wird, ist zuvor von Journalisten verfasst worden. Heißt: Dieses Qualitätsproblem geht alle an, denn wenn die Schlagzeilen einmal um die Welt sind, holt sie niemand zurück.
Big Data
An vergangenen Wochenende machte im Netz der Artikel „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“ die Runde, in dem behauptet wurde, dass eine Profiling-Methode für Facebook-Nutzer der Firma Cambridge Analytica Donald Trump zum Wahlsieg verholfen hat:
„Aber wie gross war der Einfluss der psychometrischen Methoden auf den Ausgang der Wahl? Cambridge Analytica will auf Anfrage keine Belege für die Wirksamkeit der Kampagne liefern. Und es ist gut möglich, dass die Frage nicht zu beantworten ist. Und doch gibt es Anhaltspunkte: Da ist die Tatsache, dass Ted Cruz dank der Hilfe von Cambridge Analytica aus dem Nichts zum schärfsten Konkurrenten Trumps in den Primaries aufstieg. Da ist die Zunahme der ländlichen Wählerschaft. Da ist der Rückgang der Stimmenabgabe durch Afroamerikaner. Auch der Umstand, dass Trump so wenig Geld ausgab, könnte sich mit der Effektivität persönlichkeitsbasierter Werbung erklären. Und auch, dass er drei Viertel seines Marketingbudgets in den Digitalbereich steckte. Facebook erwies sich als die ultimative Waffe und der beste Wahlhelfer, wie ein Trump-Mitarbeiter twitterte.“
Der Münchener Computer-Journalist Christian Alt hält die Analyse für übertrieben und schreibt auf seiner Facebook-Seite:
„Generell ist mir das alles zu viel Mumbo-Jumbo. Eine typische Mischung aus deutscher Algorithmen- und Technologie-Skepsis und Angst vor Big Data. Es gibt in dem Artikel keine belastbaren Daten, keine Fakten, es gibt nur Spekulationen und PR-Quatsch von Cambridge Analytics. (…) Wir können nicht gleichzeitig alle von Fake News schwafeln und dann solche Texte massenhaft teilen, nur weil uns die Geschichte ins Weltbild passt.“
Man muss sich hier auch fragen :“Cui bono?“ Wem nützt so eine Kampagne gegen Facebook? Zum einem dem Unternehmen Cambridge Analytica natürlich, die so breit für ihre Big Data-Services werben kann, und irgendwo auch Facebook selbst, weil der Plattform irre Werbeeffekte zugeschrieben werden. Andererseits sind die klassischen Medien immer vorne dabei, wenn sich Gelegenheit bietet, die eigenen Hände rein zu waschen und die Konkurrenz in Verruf zu bringen.
4/4 Ja, Social Profiling und #BigData immer wichtiger f Wahlkampangen. Nein,Cambridge Analytica taugt nicht als 'Sündenbock' für Trump-Wahl
— Max Hoppenstedt (@m_hoppenstedt) December 4, 2016
https://twitter.com/sixtus/status/805365799808593920
Eines muss man dem Internet und den Sozialen Medien lassen: Sie stellen die öffentliche Diskussion auf eine breitere Basis. Journalisten haben ihre Gatekeeper-Funktion verloren, dadurch, dass wirklich jeder zum Beispiel in einem eigenen Blog oder youtube-Kanal publizieren kann. Es gibt zu der o.g. Big-Data-Trump-Geschichte innerhalb weniger Tage so viele gute sachliche Blog-Beiträge und Twitter- sowie Facebook-Posts, dass ich an dieser Stelle gar nicht darauf eingehen kann (siehe Link-Liste unter dem Text). Und: Viele Informationen sind einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich: Musste man etwa früher die Zeitung Das Parlament abonnieren, um mitzubekommen, was im Bundestag passiert, so kann man heute die Protokolle und zugrundeliegenden Dokumente einfach im Netz abrufen. Auch ausländische Medien können über das Internet leicht rezipiert werden. „Die Neue Zürcher Zeitung ist das neue Westfernsehen“ ist so ein Spruch, der die neue Vielfalt feiert.
Liebe Medienleute aus Funk, Fernsehen und Print: Das Internet ist das Medium der Zukunft. Lernt, damit zurecht zu kommen und – meinetwegen auch – da Euer Geld zu verdienen.
Links:
• Journalismus ist kein Umerziehungsprogramm
• Der Mythos von der Filterblase
• Persönlichkeitseigenschaften mit Facebook-Likes vorhersagen? Echt jetzt?
• HAT EIN BIG DATA PSYCHOGRAMM TRUMP WIRKLICH DEN SIEG GEBRACHT?
• Nach Cambridge Analytica: Vom kleinen Big Data deutscher Parteien
• Hat wirklich der große Big-Data-Zauber Trump zum Präsidenten gemacht?
• FACEBOOK IST NICHT SCHULD AN TRUMP
• NEIN, BIG DATA MANIPULIERT UNS NICHT ALLE ZU TRUMP-WÄHLERN
• Die Meinungsbildung verschiebt sich immer schneller ins Internet
• Die Bombe ist eine Knallerbse
Bildnachweis: Facebook
Wer die Frage, wie und ob Filterblasen auf das Wahlverhalten und die Meinung Einfluss hat, sollte gleichzeitig untersuchen, welchen Einfluss das auf Journalisten hat.
Es ist nicht zu leugnen, dass das Tool „Twitter“ oder „Facebook“ für Journalisten zur Selbstvermartkung von größerer Bedeutung ist, als für den „Normalo“ (Generieren von Klicks durch Teilen).
Dadurch ist die Masse an Journalisten im Gegensatz zur Restbevölkerung größer und, mein subjektiver Eindruck, Journalisten auf Twitter sind in der Tendenz eher linkslastig. Vielleicht führte das zur sehr eindimensionalen Berichterstattung letztes Jahr, was empirisch bewiesen ist:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/studie-wie-ueber-fluechtlinge-berichtet-wurde-14378135.html
Durch die „Filterblasen“, aber insbesondere die Interaktion jener ist aus meiner Sicht die Medienlandschaft weniger Vielfältig.
Auf französisch hier:
http://seppi.over-blog.com/2016/12/un-calendrier-de-l-avent-postfactuel-5-bulles-de-filtres-fausses-nouvelles-et-big-data.html