Postfaktischer Adventskalender, Teil 14: Artensterben

Im März dieses Jahres meldete das Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen zum „Tag des Artenschutzes“:

„45 Prozent der Arten in NRW sind vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben“

Die Pressemitteilung zitiert NRW-Umweltminister Johannes Remmel:

„Etwa 45 Prozent der untersuchten Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Dabei sind die Ursachen des Artensterbens häufig menschengemacht. Vor allem eine zu intensive Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen, die Zerschneidung von Lebensräumen, die Begradigung von Gewässern oder die Belastung durch Schadstoffe hinterlassen deutliche Spuren. Mit dem neuen Landes-Naturschutzgesetz wollen wir ein Trendwende erreichen.“

45 Prozent – also fast die Hälfte – das ist eine Menge! Doch auf die Nennung der Zahlen regte sich Protest. Der Geobotaniker Prof. Dr. Wolfgang Schumacher sagte gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger, dass die Zahlen objektiv falsch seien. Schuhmacher kennt sich mit der Roten Liste aus, auf die sich die Zahlen beziehen, denn er hat an ihrer Erstellung mitgewirkt:

„Richtig ist vielmehr, dass derzeit 15 Prozent der Arten in NRW als vom Aussterben bedroht gelten oder ausgestorben sind.“

Die CDU-Fraktion im Landtag griff die Kritik auf und forderte in einer Kleinen Anfrage eine Stellungnahme der Landesregierung. In der Antwort erklärte das Umweltministerium die Differenz: Von den in der Roten Liste im Jahr 2011 bewerteten 11.677 Arten gelten 7,2 Prozent als „vom Aussterben bedroht“ und 8,2 Prozent als „ausgestorbene oder verschollene Arten“. Dazu zählte das Ministerium weitere Gefährdungskategorien:

„Bei den „stark gefährdeten Arten“ liegt der Anteil bei 9,8 %. Der Anteil „gefährdeter Arten“ wird auf 10,9 % beziffert. Bei Arten mit einer „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“ liegt der Anteil bei 0,7 %. Der Anteil Arten, die „durch extreme Seltenheit (potentiell) gefährdet“ sind, beträgt 8,3 %. Insgesamt werden damit in der Roten Liste NRW (2011) gemeinsam mit den in der Antwort auf Frage 1 angegebenen Zahlen 45,1 % der Arten in der Roten Liste NRW geführt.“

Man sollte dabei berücksichtigen, dass in der Kategorie „ausgestorbene oder verschollene Arten“ auch Arten geführt werden, die hierzulande schon sehr lange nicht mehr heimisch sind, z.B. bei den Säugetieren der Auerochse (letzter Nachweis: Altertum), der Braunbär (letzter Nachweis: Mittelalter), der Elch (letzter Nachweis: Mittelalter) sowie das Wildpferd (letzter Nachweis: Altertum).

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Hinzu kommt, dass die Liste aus 2011 stammt und damit nicht mehr aktuell ist. Beim Wolf datiert der letzte Nachweis in der Liste auf das Jahr 1839. Dabei hat der NABU seit 2009 in NRW elf Wolfsnachweise gezählt und feiert das Bundesland als Wolfserwartungsland. Auch freilebende Wisente („letzter Nachweis: Altertum“) gibt es in NRW wieder, allerdings wird das Auswilderungsprojekt kontrovers diskutiert.

Es sind also auch Erfolge im Naturschutz zu feiern. So musste das Umweltministerium in der Antwort zur Kleinen Anfrage zugestehen:

„Nach Auswertung der Roten Liste der gefährdeten Pflanzen, Pilze und Tiere NRW (2011) hat sich im Vergleich zur Roten Liste NRW (1999) zum Beispiel bei folgenden bekannten Arten die Gefährdungssituation verbessert:

• Säugetiere: Biber, Feldhase, Fischotter, Wildkatze
• Vögel: Heidelerche, Mittelspecht, Uhu, Rotmilan, Schwarzstorch
• Kriechtiere: Mauereidechse
• Amphibien: Moorfrosch
• Fische: Bachforelle, Bachneunauge, Lachs
• Pflanzen: Geflecktes Knabenkraut, Hirschzunge, Froschkraut, Schnabel-Segge, Braunes Schnabelried, Zwerg-Filzkraut.“

 

Links:

• Artenschutz: Experte aus der Eifel geht mit Umweltministerium ins Gericht

• Artenschutz: Rechnen mit Remmel

 

 

Bildnachweis: Victoria from London, UK: Auerochse. Uploaded by FunkMonk, CC BY 2.0

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1 Kommentar zu „Postfaktischer Adventskalender, Teil 14: Artensterben“

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