Gleich zu Jahresbeginn überrascht uns diese Schlagzeile: „Bienen in der Stadt produzieren doppelt so viel Honig wie auf dem Land“. Die tagesschau schreibt:

„Glaubt man einer Studie der Freien Universität Berlin fühlen sich Bienen in der Stadt wohler als gedacht: Laut den Wissenschaftlern sind die Honigerträge zwischen Beton und Balkonbepflanzung gar doppelt so hoch wie auf dem Land.“

In dem Teaser steckt gleich der erste Fehler: Die Studie, um die es geht, ist keine offizielle Studie der Universität Berlin, die etwa in einer wissenschaftlichen Publikation erschienen wäre, sondern eine Arbeit zweier Uni-Mitarbeiter im Auftrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Monika Krahnstöver ist Doktorandin und Imkermeister Dr. Benedikt Polaczek ist technischer Angestellter an der Freien Universität Berlin.

Der Bericht in den tagesthemen erweckt den Anschein, dass die Autoren selbst empirische Untersuchungen vorgenommen hätten. Es heißt:

„Die Bienen produzieren hier in Berlin fast doppelt so viel Honig wie ihre Artgenossen auf dem Land, die dort kaum noch Blüten finden.“

Das ist aber nicht der Fall: Das von den Grünen vorgelegte Papier bezieht sich nicht auf eigene Untersuchungen, sondern ist eine reine Literaturstudie, das heißt, es wurden lediglich Studien und Artikel gesichtet und eingeordnet.

Die Schlussfolgerung der Rundfunk-Journalistin Iris Marx, die für den Beitrag verantwortlich zeichnet, lautet:

„In der Konsequenz heißt das: Der Bienenbestand auf dem Land ist extrem gefährdet, weil dort zu einseitig angebaut wird und es zu viele Pestizide gibt. Ohne die Bienen aber gerät das Ökosystem aus den Fugen. Ein weiterer Rückgang wäre fatal.“

Nun kommt Bärbel Höhn, Bundestagsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen, zu Wort:

„Viele von ihnen sind auf der Roten Liste. Also, wir sehen in anderen Ländern wie den USA oder in China, dass teilweise per Hand Apfelbäume bestäubt werden. Das wollen wir hier nicht haben. Wir müssen zu einer anderen Landwirtschaft kommen.“

Hier wird einiges vermischt: Nämlich die Bestände von Wild- und Honigbienen. Honigbienen gibt es auf dem Land nach wie vor deutlich mehr als in der Stadt. Das belegen die Zahlen der Imkerverbände.

Zu Wildbienen hat sich die Studie nicht konkret festgelegt, sondern stellt nur eine Vermutung auf (S. 3):

„Forschungsergebnisse legen nahe, dass vegetationsreiche Städte für Honigbienen
geeignetere Standorte darstellen als Gebiete mit intensiver Landwirtschaft. Eine derartige Beurteilung lässt sich aufgrund der fehlenden Datengrundlage für Wildbienen nicht treffen. Jedoch werden diese vermutlich durch dieselben Faktoren beeinflusst, welche eine Leistungsschwächung der Honigbienen an landwirtschaftlichen Standorten hervorrufen.“

Es werden für seltene Wildbienen sogar Nachteile gesehen (S. 8):

„Dabei wurde jedoch für gefährdete Wildbienen ein negativer Trend in der Stadt Berlin erfasst, da im Jahr 2005 8% weniger dieser Arten gezählt wurden als im Jahr 1997 (Saure, 2005). Ob die Daten der Großstädte auf alle Siedlungsgebiete übertragen werden können ist fraglich.“

Auch die Zunahme der Haltung von Honigbienen in der Stadt wird problematisch gesehen (S. 3):

„Jedoch birgt die zunehmende Entwicklung der Honigbienenhaltung in der Stadt ebenfalls Nachteile für die Honigbiene. Mit zunehmender Urbanisierung zeichnen sich Gesundheitsrisiken für die Honigbiene ab, welche unter anderem mit einer höheren Bienendichte, steigender Unerfahrenheit der Bienenhalter sowie erhöhtem Krankheitsaufkommen zu erklären sind.“

Noch einmal zurück zu der These mit den Honigerträgen: In der gesamten sogenannten Studie ist nicht spezifiziert, was mit „Stadt“ und was mit „Land“ eigentlich gemeint ist. Als Proseminararbeit braucht man sowas an der Uni nicht abgeben. Eine Begriffsbestimmung, was denn Gegenstand der Untersuchung ist, gehört eigentlich zu den Minimalanforderungen.

Stadt ist nicht Stadt und Land nicht Land: Weder kann man Stadtrand mit Stadtmitte vergleichen noch eine flurbereinigte Agrarlandschaft mit unseren Mittelgebirgsregionen. Diese Unschärfe spiegelt sich in folgender Formulierung wieder (S. 12):

„Genau wie sich für den Begriff Stadt unterschiedlich stark urbanisierte Räume definieren lassen, so wird unter Land einerseits der landwirtschaftlich genutzte, aber auch der naturbelassene Raum verstanden, welche sich beide ebenso in unterschiedlicher Ausprägung finden.“

Ich habe mir eine der genannten Quellen für die Honig-Behauptung angeschaut. Im Jahresbericht 2015 des Instituts für Bienenkunde Celle wird über einen Versuch berichtet, bei dem Völker auf drei verschiedenen Standorten beobachtet worden sind. Bei der Standortwahl wurden bewusst drei verschiedene Versorgungslagen für das Nektarsammeln ausgewählt. Das Institut für Bienenkunde schreibt:

„Die Landgruppe stand an landwirtschaftlichen Nutzflächen mit guter Pollen- und Nektarversorgung im Frühjahr und an Standorten mit schlechter Pollen – und Nektarversorgung im Sommer und Herbst, die Wandergruppe an blühenden Agrarflächen im Frühjahr, an Blühstandorten mit hoher Diversität im Sommer, beide mit guter Pollen- und Nektarversorgung, aber an landwirtschaftlich genutzten Flächen im Spätsommer / Herbst mit schlechter Pollen- und Nektarversorgung. Die Stadtgruppe hatte eine große Blühvielfalt mit guter Pollen- und Nektarversorgung über das gesamte Jahr zur Verfügung (Großstadt).“

Der Versuchsaufbau war von Anfang so gewählt, dass die Stadtgruppe die beste Versorgungslage hatte. So ist es keine Überraschung, dass eben diese Stadtgruppe auch am meisten Honigertrag einbrachte. Hier ein Zitat aus dem Bericht des Bieneninstituts:

„Die Mengen an gesammeltem Nektar und Pollen unterscheiden sich zwischen den Standorten, aber auch zwischen den Jahren erheblich. Im Durchschnitt wurden pro Volk und Jahr der Landgruppe 32 kg, Wandergruppe 41 kg und der Stadtgruppe 65 kg Honig geerntet. Am Agrarstandort herrschte in zwei von vier Sommern Nektarmangel.“

In der Studie der Grünen wird daraus (S. 16/17):

„Eine Untersuchung, die in Deutschland über vier Jahre durchgeführt wurde, ergab, dass in einer Großstadt durchschnittlich 65 kg Honig pro Volk geerntet werden konnten. Bei der verglichenen landwirtschaftlichen Nutzfläche waren es pro Volk nur 32 kg und in zwei von vier Sommern wurde ebenda ein Nektarmangel festgestellt (Von der Ohe et al., 2016a).“

Die obige Behauptung, dass die Bienen in der Stadt doppelt so viel Honig produzieren wie die in der Stadt bezieht sich also auf diese eine Quelle.

Die Grünen wissen natürlich sofort, wer schuld ist. Bärbel Höhn wird zitiert:

„… es ist doch absurd, dass unsere Bienen in städtischen Revieren deutlich mehr Honig sammeln, weil sie auf dem Land nicht mehr genug Blütennahrung finden und zudem von Pestiziden bedrängt werden!“

Man fand aber auch im Honig der Stadtgruppe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. Das erklärt das Institut für Bienenkunde folgendermaßen:

„Der Ursprung der Rückstände in der Stadtgruppe resultierte teilweise aus ca. 4,5 km entfernten Rapsfeldern.“

Rapsfelder in 4,5 km Entfernung? So urban kann das Umfeld dann ja wohl nicht gewesen sein. Leider konnte ich bislang keine genaueren Angaben über die Standorte der drei Versuchsgruppen herausfinden. Aber hier von einer typischen Großstadt auszugehen, wenn in Flugweite Rapsfelder sind, ist abwegig.

Die Studie widerspricht sich an mehreren Stellen. So wird einerseits der Honigertrag als der entscheidende Vitalitätsparameter angesehen (S. 16):

„Die Menge von Nektar und Pollen im Bienenstock entspricht der Sammelleistung von Honigbienen. Diese messbare Leistung kann als Vitalitätsparameter angesehen werden, weswegen eine hohe Sammelleistung für einen gesunden Zustand der Bienen sprechen würde.“

Andererseits muss zugestanden werden, dass Stadtbienen verstärkt Gesundheitsprobleme durch Krankheiten und Parasiten haben (S. 19/20):

„Innerhalb des Untersuchungszeitraumes einer Studie über die gefährliche Bienenkrankheit Amerikanische Faulbrut wiesen die Stadtstaaten Berlin und Hamburg den höchsten Anteil von Völkern mit dieser Erkrankung auf (Koithan, 2002). Bei zunehmender Urbanisierung unterliegen Honigbienen einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Krankheitsübertragung. Zudem sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit von Arbeiterinnen der Honigbienen erheblich (Youngsteadt, Appler, López-Uribe, Tarpy & Frank, 2015).
Eine weitere Erkrankung der Honigbiene ist der starke Befall mit Varroa-Milben. Sie schwächt die Bienenvölker und überträgt Krankheitserreger (Dettli, 2009). Der Befall der Varroa-Milbe kann mit den Zahlen der Winterverluste korrelieren (DeBiMo, 2015). Die Analyse der Winterverluste von Honigbienen zum Jahreswechsel 2016 ergab einen durchschnittlichen Verlust von 8,6% in Deutschland. Jeweils bezogen auf die Fläche hatten die Regionen Rheinland-Pfalz, Berlin, Saarland, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg Verluste über dem Bundesdurchschnitt. Die Reihenfolge der Aufzählung entspricht dem Anstieg der Verluste und ist in Hamburg mit 13,8% am höchsten (Deutscher Imkerbund e.V., 2016).“

Die Schlagzeile der Grünen fußt somit einzig und allein auf dieser einen Untersuchung aus Celle, die eigentlich illustrieren sollte, wie wichtig die Versorgungslage für Bienen ist. Dieser Umstand ist jedoch trivial. Nicht umsonst gibt es diese Blühstreifen- und Blühflächen-Programme für Landwirte, eben damit nach der Rapsblüte auch in der Agrarlandschaft entsprechend Nahrung für bestäubende Insekten zur Verfügung steht. Ebenso wenig überraschend fällt die eigentliche Konklusion der Auftragsarbeit aus (S. 28/29):

„Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass viele Faktoren die Gesundheit der Bienen beeinflussen und dass für eine abschließende Beurteilung Forschungsbedarf besteht. Aufgrund der geringen Datenlage wäre es eine unverhältnismäßige Aussage, dass Honigbienen in jeder Stadt Deutschlands gesünder leben als in agrarindustriell geprägten Räumen. Die vorliegenden Daten lassen jedoch den Schluss zu, dass vegetationsreiche Städte im Vergleich zu intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten Vorteile für die Gesundheit von Honigbienen bieten können.
Für Wildbienen kann aufgrund der Vielfältigkeit ihrer Ansprüche keine pauschale Aussage für alle Arten formuliert werden. In Deutschland sind Bestäubungsmängel offensichtlich, sodass insgesamt nicht von einem gesunden Zustand der Bienengemeinschaft ausgegangen werden kann.“

Mein Fazit: Die von den Grünen praktizierte Pauschalverurteilung der konventionellen Landwirtschaft nützt niemandem etwas – am wenigsten den Bienen, zumal auch im Ökolandbau Insektizide wie Spinosad eingesetzt werden, die als bienengefährlich eingestuft sind. Im Grunde kann jeder etwas dafür tun, dass Bestäuber genug Nahrung finden, indem etwa bei der Gartengestaltung einfach ein wenig auf die Pflanzenauswahl geachtet wird. Kommunen können bei der Planung öffentlicher Anlagen gerade auch mit blühenden Gehölzen und Bäumen viel bewegen. Landwirte kann man schulen, wie zum Beispiel durch die Auswahl des geeigneten Spritzzeitpunkts Bienen geschont werden können. Auch beim Saatgut für Sonnenblumen, Blühmischungen und Zwischenfrüchte gibt es sicher noch Verbesserungsspielräume. Und wenn man schon etwas verbieten will, dann bitteschön Kiesbeete 😉

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13 Antworten zu „Summ, summ, summ …”.

  1. Ein weiterer Faktor, der in der Studie keine Beachtung fand ist der, dass ein guter Imker seine Völker immer wieder bewegt, damit sie in der Nähe von Blüpflanzen stehen. Zur Zeit der Rapsblüte etwa an Rapsfeldern. Schon der Aufbau der Studie mit z. B. Nektarmangel im Sommer ist wirklichkeitsfremd.

    1. Viel wichtiger finde ich es, dass man seine Augen aufmacht und mal die Landschaft genauer unter die Lupe nimmt. Viele schauen immer nur auf die großen Felder. Und reden dann meist von Monokultur. Was ist mit der Randbepflanzung an Feld-und Wanderwegen? An Waldrändern und ähnlichem? Das bekomme ich aber nur mit, wenn ich bewusst danach suche und nicht oberflächlich mit dem Auto fahre. Wilde Obstbäume, Sträucher, auch als Frühblüher wie Weide oder Haselnuss, sogar Lindenbäume, die auch honigen. Ich persönlich bin 2019 1x gewandert, aber der Aufwand als Hobbyimker ist schon sehr groß. Aber es lohnt sich, wer es machen möchte. Hat sich bei mir jedenfalls. Aber ich bin mit meinen Standort zu Hause sehr zufrieden, weil ich Mitte April schon bei schöne und warmen Wetter die Honigzargen aufsetzen kann. Und das geht bis Ende Juli. Mit Pech und Waldtracht sogar bis Anfang oder Mitte August. Komme aus dem Erzgebirge ca.600m Höhe.

  2. Wanderimkerei ist nicht notwendigerweise „gute“ imkerei

    1. wird aber auch von Imkern, die nach Bioland- oder Demeter-Richtlinien imkern, praktiziert! Und ist nach diesen Richtlinien nicht verboten!!!

  3. In den Städten ist es in der Regel 2-3 °C wärmer als auf dem Land. Logische Folge ist eine erhöhte Aktivität der Bienen, und auch die Dauer des täglichen Bienenflugs dürfte sich durch den wärmeren Bienenstock erhöhen.
    Dies halte ich für eine naheliegendere Erklärung ´der größeren Honigmenge der Stadtbienen als das angeblich breitere Beutenspektrum. Und es würde auch erklären, warum von Stadtbienen sehr weit entfernte Rapsfelder beflogen werden.

    Außerdem dürfte das wärmere Stadtklima der Varroa schlechter bekommen. Schließlich wird diese mancherorts über das zeitweise Erwärmen des Bienenstocks auf knapp über 40 °C bekämpft.
    https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article138892860/Bienensauna-soll-Bienen-von-Varroa-Milbe-befreien.html

    Das Konzept wäre ausbaufähig. Hat sich schon mal jemand mit beheizten Bienenstöcken zur Steigerung des Honigertrags beschäftigt?!

    1. Ja. In meinen langjährigen Untersuchungen über die Entwicklung von Bienenvölkern habe ich auch den Einfluß einer Bodenheizung getestet. Die Völker haben sich nicht besser entwickelt, wenn sie im März drei Wochen lang von unten gewärmt wurden. Die Behandlung von Völkern im Frühjahr mit der Bienensauna nach Vorschrift hat nicht zu stärkeren Völkern und zu mehr Honig geführt. Das wird aber vom Hersteller behauptet.

  4. Avatar von kraemerkraemer@web.de
    kraemerkraemer@web.de

    In den Tagesthemen wurde das Thema ja auch kurz aufgegriffen. Deswegen ist es auch in den Podcast von Tilo Jung und Stefan Schulz, dem Aufwachen-Podcast gelangt (, der sich kritisch vorrangig mit Medien und Berichterstattung auseinandersetzt). Die beiden hauen leider genau in die gleiche Kerbe, wie es in dem von Ihnen thematisierten Tagesschau-Artikel geschieht. Ich dachte, dass ist vielleicht von Interesse für Sie: https://aufwachen-podcast.de/2017/01/10/a170-terror-totalschaden/#t=1:11:18.841 (Startet an entsprechender Stelle).
    Da der Podcast eine größere Hörerschaft hat, dachte ich ein korrigierender Kommentar wäre angebracht. Ich traue mir einen solchen aber nicht zu, weil es ein Thema ist, über das ich kaum etwas weiß. Vielleicht möchten Sie ja?! Wie auch immer, FG Paul Kraemer

    1. Danke für den Hinweis! Habe dort kurz auf meinen Blogbeitrag verwiesen, wartet auf Moderation.

  5. Toll, wie du alles aufschlüsselst.
    Viele Grüße von der Theologin auf dem Bauernhof 😉

  6. Ein sehr guter, informativer, detaillierter Bericht. Dankeschön! Es wird ganz schön viel Blödsinn geschrieben und manche Gruppierungen nutzen irgendwelche Meldungen gleich für sich und nicht alles wird geprüft bevor es einfach nur wieder verbreitet wird.

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