Die Umweltschutzorganisation WWF Deutschland postete jetzt einen verwegenen Vergleich auf Twitter: Auf Öko-Äckern würden 450 Regenwürmer je Quadratmeter leben, während auf „Intensiv bewirtschafteten Äckern“ – was auch immer das heißt – nur 30 Regenwürmer pro Quadratmeter zu finden seien:
Auf Öko-Äckern leben pro m² 450 Regenwürmer! Auf dem Rest nur 30 🙁 Jetzt Würmer retten:https://t.co/rUP8WjVRNS #AusLiebeZurLandwirtschaft pic.twitter.com/tR3HMeyZYD
— WWF Deutschland (@WWF_Deutschland) August 10, 2017
Auf Facebook verwendet der WWF ebenfalls diese GIF-Animation und versieht die Bildchen-Folge mit folgender Botschaft:
„Pro m² leben auf intensiv bewirtschafteten Äckern nur 30 Regenwürmer. Auf Öko-Äckern bis zu 450! Schwere Maschinen, synthetischer Dünger und Pestizide machen ihnen zu schaffen und setzen dem Boden zu. Der Boden verliert seine Kraft und die Erträge sinken. Helft den Würmern!“
Woher holt der WWF diese Aussage und vor allem woher diese Zahlen? Im Kommentarbereich auf Facebook verweist die Organisation auf ihr Regenwurm-Manifest. Dort finden sich die Zahlen wieder (S. 5):
„Die Zahl der Regenwürmer in Äckern ist je nach deren Bewirtschaftung sehr unterschiedlich: Monokulturböden mit extrem eintöniger Fruchtfolge und sehr starkem Maschinen- und Chemieeinsatz haben maximal 30 Tiere pro Quadratmeter. Ein durchschnittlicher Boden in der noch relativ kleinstrukturierten Landwirtschaft Süddeutschlands enthält rund 120. Und auf den Äckern von Sepp Braun, dem bekannten bayerischen „Regenwurm-Bauern“, wurden im Ackerboden 450 Würmer pro Quadratmeter gefunden (Spitzenwerte sogar bis 600), mit einem großen Anteil der tiefgrabenden Art „Tauwurm“.“
Folgt der Leser dann der Fußnote am Ende des Absatzes, gelangt er zu folgender Quellenangabe:
„Bestandserhebungen der LfL Bayern, Angaben aus Ehrmann (2015) und mündlich von Sepp Braun (Freising).“
Die Rekordwerte sind also nur mündlich überliefert, das ist freilich ernüchternd, um nicht zu sagen: Es erinnert an dicke Kartoffeln. Wie Bauer Braun seine Tiere gezählt hat, geht aus den Angaben auch nicht hervor. Dabei gibt es dafür standardisierte Verfahren, damit die Werte auch vergleichbar sind. Wo der Wert „30 Tiere pro Quadratmeter“ für „Monokulturböden mit extrem eintöniger Fruchtfolge und sehr starkem Maschinen- und Chemieeinsatz“ herkommt, lässt sich anhand der Quellenangaben nicht ermitteln. Die Angaben in Ehrmann 2015 sind größtenteils in der Einheit „g/Quadratmeter“ für Regenwurm-Biomasse verfasst, die Zahl der Individuen ist meistens gar nicht angegeben.
Dass der WWF hier einen „Bio=gut und intensiv/Nicht-Bio/konventionell=schlecht“-Gegensatz aufbaut, ist insofern unsachlich, weil Bio oder Nicht-Bio für Regenwürmer nicht ausschlaggebend ist. Damit Regenwürmer im Ackerboden gute Lebensbedingungen vorfinden, sind nach Ehrmann 2015 an erster Stelle folgende Dinge wichtig:
• Schonende Bodenbearbeitung oder Verzicht auf Bodenbearbeitung
• Verfügbarkeit von Nahrung (Pflanzenmaterial)
Beide Aspekte werden im Ackerbau vor allem bei Direktsaatsystemen berücksichtigt und das schlägt sich direkt in der Regenwurmmenge nieder:

Leider wird gerade im Ökolandbau auf den Pflug und andere mechanische Verfahren zur Beikräuter-Regulierung zurückgegriffen. Für die Regenwürmer ist das Gift.
Nach den beiden oben genannten Aspekten erwähnt der „bekannte Regenwurmforscher Otto Erdmann“ (Zitat WWF) noch Pflanzenschutzmittel, Bodenverdichtung, Fruchtfolge und Landschaftsstruktur. Bei den Pflanzenschutzmitteln gilt vor allem das auch im Ökolandbau eingesetzte Kupfer als schädlich für Regenwürmer. Das Mittel Cuprozin progress zum Beispiel ist im Bio-Landbau u.a. für die Behandlung von Mehltau bei Weinreben oder Kraut- und Knollenfäule bei Kartoffeln zugelassen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit schreibt im Abschnitt „Auflagen“ über das Mittel:
„Das Mittel wird als schädigend für Regenwurmpopulationen eingestuft.“
Komisch, das Wort „Kupfer“ kommt im Regenwurm-Manifest des WWF gar nicht vor. Dagegen darf natürlich der Buhmann der konventionellen Landwirtschaft nicht fehlen: Glyphosat. Es gibt eine Studie (Gaupp-Berghausen et al. 2015), die angeblich nachgewiesen hat, dass Glyphosat Regenwürmer schädige. Es gab von verschiedenen Seiten Kritik an der Methodik dieser Arbeit (siehe dazu die Links unter dem Artikel), der Hauptkritikpunkte aus meiner Sicht sind:
• Die Versuche wurden nicht mit dem Wirkstoff Glyphosat durchgeführt, sondern mit einer Fertigmischung.
• Die Fertigmischung wurde während der Versuchsreihe geändert.
• Die Fertigmischung, bei der letztlich die negativen Ergebnisse auftauchten, enthielt das aggressive Kontaktherbizid Pelargonsäure.
• Die Fertigmischung wurde in unrealistisch hoher Aufwandmenge aufgebracht.
• In der Kontrollgruppe hätte ebenfalls die Vegetation entfernt werden müssen, um eine Vergleichbarkeit herzustellen.
Das Kontaktherbizid Pelargonsäure schädigt nachweislich Regenwürmer. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA schreibt in ihrer Risikobewertung zu Pelargonsäure (S. 2-3):
„For pelargonic acid, data gaps to address the following aspects of the ecotoxicological risk assessment were identified: aquatic organisms, bees, in-field populations of non-target arthropods, earthworms, soil microorganisms and non-target plants (seedling emergence). A low risk to birds, mammals and sewage treatment organisms was concluded. A risk was identified for earthworms and in-field populations of non-target arthropods.“
Kurzum: Ich bin gerne bereit, über Vor- und Nachteile verschiedener Anbauverfahren zu diskutieren – der WWF hatte ja auch auf unseren Offenen Brief an Ministerin Hendricks reagiert – aber bitte auf Basis von anerkannten wissenschaftlichen Methoden sowie ohne ideologische Scheuklappen und Rosinenpickerei.
Links zu Bodenbearbeitung und Regenwurmdichte:
• Otto Ehrmann 2015: „Regenwürmer in den Böden Baden-Württembergs
– Vorkommen, Gefährdung und Bedeutung für die Bodenfruchtbarkeit“
• Werner Jossi et al. 2011: „Reduzierte Bodenbearbeitung schont die Regenwürmer“
Links zu Gaupp-Berghausen et al. 2015:
• Glyphosat, die BOKU und der Regenwurm
• Dead plants are probably bad for earthworms
Bildnachweis: Screenshot WWF
in der Gaupp-Berghausen Studie sind zudem große Schwankungen in beiden Populationen (plus/minus Glyphosat) zu erkennen. Da gab es anscheinend Umwelteinflüsse, die eine stärkere Auswirkung als Glyphosat hatten, die aber völlig ignoriert wurden.
Vielen Dank für diesen Blog!