Wie ich an anderer Stelle bereits schilderte, bleibt der GroKo-Koalitionsvertrag nebulös in der Frage, ob die neue Bundesregierung vorhat, die Anwendung neuer Züchtungstechnologien wie CRISPR/Cas zum Beispiel in der Nutzpflanzenzüchtung einzuschränken. Eine klare Sprache dagegen spricht die Antwort, die Prof. Dr. Reinhard Szibor auf seinen Offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten vom SPD-Landesvorsitzenden Sachsen-Anhalt, Burkhard Lischka, erhalten hat. Dort heißt es:

„Wir stehen uneingeschränkt zum Vorsorgeprinzip. So wollen wir auch bei den so genannten Neuen Gentechniken nicht, dass mithilfe dieser Technologien erzeugte Pflanzen und Tiere unreguliert auf den Markt gelangen. Für uns sind Sicherheitsüberprüfungen und Kennzeichnung unverzichtbar, um den Vorsorgeprinzip gerecht zu werden und um Wahlfreiheit und Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten.“

Damit ist es raus: Die SPD hat sich zum Ziel gesetzt, dass CRISPR/Cas und Co rechtlich genauso behandelt werden sollen wie die klassische Gentechnik. Das würde bedeuten, dass Pflanzensorten, die etwa mit CRISPR/Cas gezüchtet worden sind, einen aufwendigen und kostspieligen Zulassungsprozess durchlaufen müssten. Damit würden diese Techniken für kleinere und mittlere Zuchtunternehmen unerschwinglich werden. Außerdem müssen Lebensmittel gekennzeichnet werden, bei denen pflanzliche Produkte verarbeitet worden sind, bei denen in der Zucht neue Technologien zum Einsatz kamen. Wie das kontrolliert werden soll, ist völlig unklar, weil sich die Ergebnisse der neuen Züchtungstechnologien nicht von denen klassischer Zuchtverfahren unterscheiden lassen.

Schon die Wortwahl ist bemerkenswert: „bei den so genannten Neuen Gentechniken“. Die Fachwelt spricht von „neuen Züchtungstechnologien“ oder „Genome Editing“ und eben nicht von „Gentechnik“.

Auf europäischer Ebene gab es bereits eine Vorentscheidung in der Frage, wie die neuen Züchtungstechnologien rechtlich einsortiert werden sollen. Mitte Januar wurde der Schlussantrag von EU-Generalanwalt Michal Bobek veröffentlicht. Bobek zählt die neuen Züchtungstechnologien zu den Mutagenese-Verfahren  und kommt zu dem Schluss, dass Pflanzensorten, die mit neuen Züchtungstechnologien gezüchtet worden sind, nicht so reguliert werden sollen wie Sorten, die mit klassischer Gentechnik hergestellt worden sind, solange sie keine transgenen Anteile enthalten. Es wird erwartet, dass der Europäische Gerichtshof bei seinem Urteil dieser Einschätzung folgen wird.

Der Schlussantrag stellt auch klar, wie in dieser Sache das Vorsorgeprinzip anzuwenden ist:

„Maßgebend ist in allen diesen Fällen indes, dass zumindest erkennbare, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Risiken bestehen müssen (22). Anders als bei dauerhaften Maßnahmen liegt die Schwelle für die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes bei vorläufigen Maßnahmen niedriger. Es müssen jedoch jedenfalls eindeutige Daten zu dem oder den behaupteten Risiken vorliegen, die durch ein Mindestmaß an wissenschaftlichen Daten untermauert werden müssen, die aus einer Mindestanzahl verschiedener zuverlässiger, unabhängiger nationaler oder internationaler Quellen stammen. Die bloße Befürchtung eines durch etwas Neues ausgelösten Risikos oder ein vage und allgemein behauptetes Risiko eines Risikos, soweit nicht abschließend festgestellt werden kann, dass das Neue sicher ist, stellen keine ausreichende Grundlage für eine Anwendung des Vorsorgegrundsatzes dar.“

Der Verweis auf hypothetische Risiken, die ggf. momentan noch nicht abzuschätzen sind, genügt danach nicht, um sich auf das Vorsorgeprinzip zu berufen.

Auch in Sachen EU-Zulassung gentechnisch optimierter Sorten enthält der Brief Lischkas Bemerkenswertes:

„Wir wollen in der Zulassungsdebatte eine stärkere Gewichtung der gentechnikkritischen Forschungen, um dem Vorsorgegrundsatz der Umwelt- und Naturschutzpolitik gerecht zu werden.“

Die SPD will eine „stärkere Gewichtung der gentechnikkritischen Forschungen„? Ich dachte immer, eine wissenschaftliche Bewertung sollte unvoreingenommen sein? Anscheinend nicht bei der SPD. Die weiß vorher schon, welche Ergebnisse relevant sind.

Zirkulär ist auch die Argumentation, warum man auf Grüne Gentechnik verzichten will:

„Die Auskreuzung von GVO in die Natur und die Durchdringung von Saatgut- und Warenströmen ist nur zuverlässig zu vermeiden, wenn möglichst großräumig auf grüne Gentechnik verzichtet wird.“

Eine Vermischung ist doch nur dann problematisch, wenn die Komponente, die sich untermischt, selbst als problematisch erachtet wird. Die SPD ignoriert hier Jahrzehnte – auch öffentlich finanzierter – Bio-Sicherheitsforschung, die bei gentechnisch veränderten Organismen keine besonderen Risiken feststellen konnte, die aus dem Züchtungsverfahren an sich resultieren. Stattdessen bemüht Burkhard Lischka Parolen:

„Deshalb haben wir uns für eine Novellierung des Gentechnikgesetzes eingesetzt, die praktikable und rechtssichere bundesweite GVO-Anbauverbote regelt und dafür sorgt, dass unsere Felder weiterhin gentechnikfrei bleiben.“

Juhu, „unsere Felder bleiben gentechnikfrei“ – als ob das ein Wert an sich sei. Unsere Unis sind bald fortschrittsfrei, wenn sich solche Denkmuster durchsetzen sollten. Als einzige Rechtfertigung für diese Blockadehaltung führt der SPD-Abgeordnete die Bedenken der Bevölkerung an:

„Nicht nur in Deutschland – auch in ganz Europa lehnt die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gentechnisch veränderte Pflanzen ab.“

Dazu ist zu sagen, dass diese Skepsis wahrscheinlich aus mangelndem Hintergrundwissen gepaart mit einseitiger Information durch NGOs und Medien resultiert. Umfragen wie die Naturbewusstseinsstudie 2015 zeigen, dass gerade jüngere Menschen mit einer besseren naturwissenschaftlichen Schulbildung der Gentechnik aufgeschlossener gegenüber stehen.

Bei einer Umfrage in den USA gaben rund 80 Prozent der Befragten an, dass sie begrüßen würden, wenn Lebensmittel obligatorisch gekennzeichnet sind, wenn sie DNA enthalten. Rund 82 Prozent unterstützen eine Kennzeichnung, wenn Lebensmittel mit Gentechnik erzeugt worden sind. Das heißt, hier wird gar nicht differenziert: DNA – Gene – Gentechnik – das ist alles irgendwie suspekt.

dna Labels.png
Quelle: http://agecon.okstate.edu/faculty/publications/4975.pdf

Ein ähnliches Zerrbild zeigt eine Umfrage von YouGov aus dem Jahr 2016: Nur 7 Prozent der Befragten geben an, überhaupt zu wissen, was sich hinter „Crispr/Cas9“ verbirgt, aber 84 Prozent fühlen sich trotzdem kompetent genug, eine Einordnung vorzunehmen:

crispr meinen.png

Da gibt es noch viel zu tun – in Sachen Bildung und Aufklärung! Und Politik, die solche Stimmungsbilder als Grundlage für Positionen und Entscheidungen bemüht, öffnet dem Populismus Tür und Tor.

 

 

Eine Antwort zu „SPD will CRISPR/Cas und Co regulieren wie Gentechnik”.

  1. Ich bin selbst Molekularbiologe und habe meine Dissertation an einem Lehrstuhl für molekulare Genetik angefertigt. Dennoch möchte ich in erster Linie nicht Stellung nehmen zum naturwissenschaftlichen Hintergrund Ihres Beitrags, sondern eher zum logischen Rahmen.

    Wieso sollten Verbraucher Ihrer Meinung nach ein – hypothetisches – Risiko auf sich nehmen, ohne dabei auch nur ansatzweise in den Genuss des damit verbundenen Gewinns zu kommen ? Aktuell können wir den Lebensmittelbedarf in Deutschland noch durch konventionelle Erzeugung decken. Sollte sich dies in Zukunft ändern, oder sollten die Unternehmen in der Lage sein, dem Verbraucher auch dessen Vorteil beim Konsum Ihrer Produkte nahe zu bringen, so würde sich auch hierfür eine signifikante Konsumentengruppe, sowie eine breite politische Mehrheit finden lassen. So lange Gewinn und Risiko eindeutig inkongruent verteilt sind und es ganz einfach keine aktive Nachfrage nach Produkten der modernen „Zuchtunternehmen“ gibt legitimiert das m.E. nicht, dem Verbraucher die ungefragten Produkte ohne Kennzeichnung unterzuschieben. Ungeachtet dessen, ob der Verbraucher die Kennzeichnung eines Produktes nun verstehen mag oder nicht, kann dies nicht automatisch bedeuten, dass ihm mit diesem Argument automatisch und pauschal auch seine Entscheidungsfreiheit entzogen wird. Genau hierauf zielt jedoch das Verhindern von Kennzeichnungspflicht seit vielen Jahren ab.

    Weiterhin muss ich feststellen, dass sich das Wissen im Bereich der Genetik seit meiner Promotion rasant und signifikant weiterentwickelt hat. Jedoch bereits vor 20 Jahren wurden die noch ungelenken Ansätze der Gentechnik – man dachte vor 20 Jahren ja sogar noch, dass der größte Teil des menschlichen Genoms keinerlei Funktion besäße … – und die Freisetzung deren Ergebnisse als vollkommen risikolos dargestellt, was man aus heutiger Sicht so sicher nicht mehr uneingeschränkt unterschreiben würde. Auch hier würde ich gerne die Logik bemühen, die sagt, dass nur etwas ohne jegliches Risiko sein kann, bei dem man zu 100% über alle Fakten und Zusammenhänge informiert ist, woraus nebenbei auch klar wird, dass es streitbar ist, ob man im Rahmen der Freigabe eines Produktes aktiv den Beweis für dessen Unschädlichkeit zu führen hat, oder ob – umgekehrt – die Freigabe automatisch erfolgt, so lange nicht dessen Schädlichkeit bewiesen ist. Einen Beweis hätte man, so, oder so, ebenfalls nur bei 100% Klarheit über alle Fakten und Interaktionen, was in der Naturwissenschaft unmöglich ist.

    Insofern ist es m.E. durchaus statthaft, darauf hinzuweisen, dass – da wir in der Biologie eben keinesfalls davon ausgehen können, zu 100% über alle Erkenntnisse und Wirkprinzipien zu verfügen – auch mit den modernen und deutlich kontrollierteren Methoden der genetischen Modifikation logisch zwingend noch ein intrinsisches Risiko verbunden ist. Da dieses bzgl. Eintrittswahrscheinlichkeit, Umfang und Tragweite jedoch nicht genau beziffert werden kann ist es ebenfalls klar, dass die Bereitschaft, dieses Risiko einzugehen, wiederum mit dem realen Vorteil verbunden ist, der dadurch individuell zu erwarten ist. Dieses Prinzip trifft selbstverständlich auf alle Technologien zu, nicht nur auf die Gentechnik. Und ebenso universell ist es, dass die Bereitschaft ein Risiko einzugehen von den individuellen Rahmenbedingungen abhängig ist und man die Aubergine in Bangladesch nicht in einem Aufwasch mit der Landwirtschaft in Deutschland abhandeln kann.

    Und hier schließt sich der Kreis aus Industrie, Verbraucher, Politik, Forschung und Lobby, die jeweils das Verhältnis aus Nutzen und Risiko – oder beides jeweils isoliert für sich – individuell so interpretieren, wie es für sie selbst am besten ist und sich dabei gegenseitig vorwerfen nur ihre eigenen Interessen zu vertreten. Leider sind hierbei, wie gesagt, Nutzen und Risiko – auch aufgrund des individuell sehr unterschiedlichen Zugriffs auf relevante Informationen – sehr inkongruent verteilt.

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