Gestern trudelte die alljährliche Spendentüte von Brot für die Welt, dem Hilfswerks der evangelischen Kirchen, bei uns ein. Diese Tüte wird leer bleiben. Das liegt unter anderem daran, dass Brot für die Welt einen aus meiner Sicht postfaktischen Ansatz bei der Hilfe zur Selbsthilfe für Menschen in Entwicklungsländern verfolgt.

Die Kampagne „Satt ist nicht genug“ wurde im Advent des vergangenen Jahres mit einem Gottesdienst eröffnet. Mit von der Partei war die indische Anti-Gentechnik-Aktivistin Vandana Shiva. Kern der Kampagne ist die Aussage, dass herkömmliches „altes“ Saatgut, den Menschen helfe, sich gut zu ernähren. Aus der Pressemitteilung zum Kampagnenauftakt vor gut einem Jahr:

Einen wichtigen Beitrag zur Überwindung von Mangelernährung leisten traditionelle Getreide-, Obst- und Gemüsesorten. Sie sind reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Weil alte Sorten auch an die Boden- und Klimaverhältnisse angepasst sind, halten sie Klimaschwankungen, Dürreperioden oder anhaltende Regenfälle besser aus. Brot für die Welt fördert deshalb den Erhalt und die Wiederbelebung traditioneller und nährstoffreicher Kulturpflanzen auf vielen Kontinenten.

„Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt, sagt: „Mangelernährung behindert Entwicklung genauso wie Hunger. Deshalb brauchen Kleinbauern, die den Großteil der Nahrung produzieren, freien Zugang zu traditionellem Saatgut. Sie müssen es bewahren, vermehren und weitergeben dürfen wie sie es immer getan haben.“ Das von den Konzernen entwickelte und mit Marktmacht global verbreitete Saatgut verdrängt die Sorten- und damit Nahrungsvielfalt und trägt zur Mangelernährung wie zur Verarmung vieler Kleinbauern bei.“

Wenn alte Sorten so toll sind, warum hungern Menschen dann überhaupt? Vandana Shiva behauptet, dass die Grüne Revolution und der Markteintritt großer Saatgut-Konzerne erst den Hunger in Indien verursacht hat. Sie empfiehlt daher traditionelle Sorten und betreibt eine Saatgutbank zum Erhalt derselben. Auch dieses Projekt wird von Brot für die Welt gefördert. Moderne Biotechnologie lehnt Vandana Shiva kategorisch ab und ist damit in der westlichen Welt nahezu zur Ikone der Anti-Gentechnik-Bewegung geworden. Aus meiner Sicht ist das ein Holzweg.

Zum einen haben u.a. der Göttinger Forscher Matin Qaim und sein Team mehrfach gezeigt, dass zum Beispiel der Einsatz gentechnisch verbesserter Baumwolle die Lebenssituation indischer Kleinbauern verbessert hat. Weitere Projekte wie die Einführung von Bt-Auberginen in Bangladesh lassen ähnliche Ergebnisse erwarten. Zum anderen bin ich der Meinung, dass Bauern durchaus selbst entscheiden können, welche Art von Saatgut ihnen am besten hilft.

Die Person Vandana Shiva ist noch ein ganz anderes Kapitel: Sie ist multifunktional einsetzbar, zum Beispiel als Testimonial für die Agrarwende beim Parteitag der Grünen oder zur Illustrierung der CRS („Corporate Responsibility and Sustainability“) eines Edel-Einrichtungshauses in New York. Nur eines ist sie ganz bestimmt nicht: arm. Für einen Vortrag wird ein Honorar von 40.000 Dollar fällig plus Anreise in der Business-Klasse.

Mahaletchumy Arujanan vom Malaysian Biotechnology Information Centre äußerte in diesem Herbst auf einer Konferenz im Europäischen Parlament ihre Verwunderung, warum Vandana Shiva in Europa so idealisiert wird.

In Asien habe Shiva kein Standing, keine Glaubwürdigkeit und kein Podium. Sie appellierte, damit aufzuhören, ihr soviel Aufmerksamkeit zu schenken.

Dr. Stephanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter e.V, hielt am 12. April dieses Jahres in der Universität Göttingen einen Vortrag „Mit dem Saatgut fängt es an – Idylle und Wirklichkeit in der Pflanzenzüchtung“.

Sie schilderte aktuelle Herausforderungen der Pflanzenzüchtung angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und vermuteter klimatischer Veränderungen in den nächsten Jahren. Sie beschrieb, welche Chancen moderne Züchtungstechnologien vor diesem Hintergrund bieten und welchen Schwierigkeiten die Züchter begegnen. Ihr Vortrag endete mit der Betrachtung eines Plakates von Brot für die Welt, das sie in einer Hamburger U-Bahn-Station entdeckt hatte.

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Im „Kleingedruckten“ steht:

„Helfen Sie den Menschen in Kenia und vielen anderen Ländern, lebenswichtige Nahrungspflanzen aus eigenem Saatgut anzubauen. Wer sich selbst versorgen kann, führt ein Leben in Würde.“

Dr. Franck schloss ihren Vortrag mit dem Fazit:

„Stünde hier statt „eigenem Saatgut“ „optimales Saatgut“, dann hätte Brot für die Welt den Nagel auf den Kopf getroffen.“

 

Links:

Vandana Shiva, Anti-GMO Celebrity: ‚Eco Goddess‘ Or Dangerous Fabulist?

“Eco-Warrior” Vandana Shiva, at $40,000 a Speech, Rejoins Hawaii Anti-GMO Crusade, But Truth Is the Victim

SEEDS OF DOUBT. An activist’s controversial crusade against genetically modified crops.

SEEDS OF TRUTH – A RESPONSE TO THE NEW YORKER

New Yorker editor David Remnick responds to Vandana Shiva criticism of Michael Specter’s profile

The myth of India’s ‚GM genocide‘: Genetically modified cotton blamed for wave of farmer suicides

The GMO-Suicide Myth

Green killers and pseudo-science

Vandana Shiva Achieves Amazing Feat Of Appropriating Her Own Culture

2 Antworten zu „Postfaktischer Adventskalender, Teil 4: „Satt ist nicht genug“”.

  1. Gibt es denn überhaupt eine Hilfsorganisation die halbwegs „faktisch“ entscheidet?
    Eine Partnerorganisation von Miserior war an der Zerstörung der Golden Rice Feldtest beteiligt.
    Die deutsche Welthungerhilfe bezahlte Schauspieler für die G7 Demonstration, bei Campact ist das wohl sogar üblich.
    Lediglich die Gates Foundation unterstützt den Goldenen Reis direkt. Die sammelt, aber keine Spenden.
    Unicef verhält sich beim Goldenen Reis zumindest neutral und versucht mit Vitamin A Präparaten den Mangel zu kompensieren.

    „Wer sich selbst versorgen kann, führt ein Leben in Würde“ Das ist wohl wahr, aber in Deutschland versteht man darunter häufig mit selbst angebauten Lebensmittelen (Selbstversorger). Das war nicht einmal im Mittelalter so! Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit Sorten und Methoden, die in der Vergangenheit weniger Menschen, auf mehr Fläche, nicht ausreichend ernähren konnte, eine wachsende Weltbevölkerung ernähren will.

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