Im Vorfeld des TV-Duells von Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz am kommenden Sonntag haben verschiedene Organisationen aus der Bio-Branche sowie dem dazugehörigen ideologischen Dunstkreis einen Offenen Brief an die Moderatoren der Sendung geschickt und diese darin aufgefordert, das Thema Landwirtschaft beim TV-Duell zu berücksichtigen.
Dieser Brief ist in mehrfacher Hinsicht ein Affront: Die Unterzeichner tun vordergründig so, als ob ihnen die Zukunft der Landwirtschaft generell am Herz liege, aber eigentlich geht es nur darum, die von der Politik zu vergebenden Fördermittel in den Ökolandbau zu pumpen. Es wird zwar vermieden, die Worte „Bio-“ bzw. „Ökolandbau“ zu verwenden, aber der Kreis der Unterzeichner und die folgende Problem-Beschreibung lassen im Grunde keine Zweifel offen, wie der Appell gemeint ist:
„Auch hier in Deutschland wird die Fruchtbarkeit der Böden durch eine nach industriellen Prinzipien organisierte Landbewirtschaftung abgebaut. Dies geschieht durch einseitige Fruchtfolgen mit hohen Anteilen derselben Anbaukulturen, sowie durch die Anwendung chemisch-synthetischer Stoffe zur Düngung, durch Biozide, wie Insektizide und Herbizide, die die biologische Vielfalt, und damit die unersetzbaren Funktionen des Bodenlebens, beeinträchtigen.“
Diese Argumentation folgt bekannten Mustern, die Kernaussage ist: Industrielle Landwirtschaft – was auch immer das sei – ist nicht nachhaltig, schädigt die Biodiversität und verbraucht die natürlichen Ressourcen. Dabei wird ausgerechnet auf die Bodenfruchtbarkeit abgehoben:
„Dagegen könnte eine regenerative, Humus und biologische Vielfalt aufbauende Landwirtschaft enorme positive Wirkung entfalten. Sie erhöht nicht nur die Fruchtbarkeit und Produktivität der Böden, sowie ihre Widerstandskraft gegen extremer werdende Umweltereignisse. Mittels des Aufbaus biologischer Vielfalt und organischer Masse können Böden in erheblichem Maß Kohlenstoff binden und für die landwirtschaftliche Produktivität nutzbar machen.“
Was soll eigentlich eine „biologische Vielfalt aufbauende Landwirtschaft“ sein? Wenn ich erfolgreich Ackerbau betreiben will, muss ich auf meinen Feldern die biologische Vielfalt zurückdrängen, sonst ernte ich nichts. Das Foto oben von Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW e.V.) und einer der Unterzeichner des Offenen Briefes, zeigt eindrucksvoll, dass das gleichermaßen für den Bio-Landwirt gilt.
Und sind es nicht vor allem die Bio-Bauern, die zur Kontrolle der Beikräuter auf mechanische Verfahren und wendende Bodenbearbeitung zurückgreifen müssen? Beides ist nicht gut für den Boden. Konventionelle Mulch- und Direktsaatsysteme sind zu nennen, wenn es um CO2-Einsparung, Erosionsschutz sowie Förderung von Bodenleben und -struktur geht. Gerade die im Ökolandbau eingesetzten Kupferverbindungen sind nachhaltig schädlich für den Boden.
Diese sogenannte regenerative Landwirtschaft habe derzeit am Markt keine Chance, erklären die Unterzeichner:
„Bislang befördert die Politik ein Wirtschaftshandeln, das unsere gesellschaftliche und ökonomische Zukunftsfähigkeit gefährdet und die natürlichen Lebensgrundlagen schädigt. Nicht nachhaltige Wirtschaftsweisen, die Lebensgrundlagen abbauen und die Kosten auf die Allgemeinheit abwälzen, sind bislang profitabler und somit wettbewerbsstärker. Dabei werden jedoch langfristig und global Ressourcen vernichtet, die zukünftig weder den Menschen, noch für Wirtschaftsaktivitäten und -unternehmen zur Verfügung stehen. Die Folgen davon tragen alle.“
Hier kommt das altbekannte Argument zum Tragen, dass die Produkte der konventionellen Landwirtschaft nur deswegen so günstig seien, weil Kosten für Umweltfolgen auf die Allgemeinheit umgelegt würden. Die daraus erwachsende Forderung ist in der Regel, den Ökolandbau stärker mit öffentlichen Mitteln zu fördern, um das Marktversagen abzupuffern. Die Verfasser richten eine Aufforderung an die Moderatoren des TV-Duells:
„Unsere KanzlerkandidatInnen müssen Antwort auf die Fragen danach geben, wie sie die politischen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Marktwirtschaft gestalten wollen, damit regenerative Landwirtschaft und ein weltweiter Schutz von Böden und ihrer Fruchtbarkeit stattfinden.
Sie werden am 3. September 2017 diese Antwort aber nur geben, wenn Sie Ihnen dazu die erforderlichen Fragen stellen !“
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Verfasser des Briefes, allen voran Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, hier im Sinn haben, dass die Politik die Anwendung konservierender Bodenbearbeitung im Ackerbau besonders fördern soll. Denn dabei würden ja wohlmöglich Glyphosat und andere chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Auch wenn es da nicht wörtlich steht, kann eigentlich nur gemeint sein, dass erfragt werden soll, wie die Kanzlerkandidatin und der Kanzlerkandidat gedenken, den Ökolandbau voranzubringen.

Dabei ist fraglich, ob der Ökolandbau die ihm zugeschriebene „regenerative“ Wirkung auch wirklich hat. Auch der von der Bio-Branche oft ins Feld geführten Biodiversität ist mit einer planlosen Ausdehnung der Bio-Landwirtschaft nicht geholfen: Eine aktuelle Studie aus Göttingen zeigt, dass die Größe eines Feldes für den Artenreichtum ganz entscheidend ist. Das bestätigt die Thesen des Göttinger Agrarökologen und Co-Autors der Studie Teja Tscharntke, dass es in einer abwechslungsreichen Kulturlandschaft wenig Unterschiede in der Biodiversität auf Öko- und konventionellen Flächen gibt. So sagte Tscharntke in einem öffentlichen Fachgespräch des Bundestags-Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zum Thema „Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes bei Insekten“:
„Es geht sogar so weit, dass, wenn man zum Beispiel ökologischen Landbau mit konventionellem Landbau vergleicht – sagen wir einmal eine ökologische Weizenfläche mit einer konventionellen Weizenfläche entlang eines Gradienten von Landschaftsvielfalt –, dass nur in den ausgeräumten Landschaften der Ökolandbau sehr viel besser dasteht als der konventionelle Landbau in Artenvielfalten, auch in der biologischen Kontrolle. In den komplexen Landschaften – sagen wir einmal mit 20, 30 Prozent naturnahen Lebensräumen – nähert sich das an, da findet man keinen Unterschied mehr. Da ist, weil so viel Einwanderung passiert, auch bei einer konventionellen Bewirtschaftung, „die Welt noch in Ordnung“. Das zeigt, wie wichtig dieser Strukturreichtum ist, der für viele andere Funktionen – Bodenschutz, Grundwasserneubildung usw. – natürlich auch eine zentrale Bedeutung hat.“
Die Experten sind sich einig, dass vor allem spezialisierte Arten zurückgehen, dass heißt, Arten, die auf einen bestimmten Lebensraum und die Nahrung, die sie dort vorfinden, angewiesen sind. Wenn der Lebensraum verschwindet, verschwindet auch die Art. Der Biologe Prof. Dr. Werner Kunz von der Universität Düsseldorf erläutert das in seinem Buch „Artenschutz durch Habitatmanagement“ am Beispiel des Ortolans, eines Singvogels, der bis in die 50er Jahre in Deutschland verbreitet war und heute nur noch selten vorkommt (S. 143 f.):
„Der Ortolan brütet hierzulande meist auf Getreideäckern und zwar in Beständen, die zu Beginn der Brutzeit maximal 15-20 cm hoch stehen dürfen und schütter genug wachsen müssen, sodass die Vögel zwischen den Halmen noch ungehindert durchschlüpfen und dort ihre Nahrung finden können (Lanz, 2009) (Tafel 9). Solche Äcker wird man durch eine biologische Landwirtschaft nicht schaffen können. Der Ortolan kehrt nicht zurück, wenn Ackerrandstreifen und Lerchenfenster geschaffen werden. Er kehrt auch nicht zurück, wenn der Einsatz von Insektiziden und Herbiziden verringert wird, noch fördert ihn die biologische Landwirtschaft. Wovon der Ortolan profitiert hat, waren die kümmerlichen, ertragsarmen, übernutzten Ackerböden, wie sie früher an vielen Stellen waren, als die Bevölkerung noch Hungersnöte kannte.“
Für Kunz gibt es kein Zurück zur Subsistenz-Landwirtschaft früherer Tage. Er plädiert daher dafür, neben den landwirtschaftlichen Nutzflächen, Flächen entsprechend der Bedürfnisse seltener Arten anzulegen und zu bewirtschaften (S. 188):
„Viele Argumente sprechen dafür, dass die Zukunft der Arten nicht in einer Reform der Landwirtschaft liegen kann, sondern in einem Nebeneinander von landwirtschaftlich genutzten Flächen und künstlich geschaffenen und bearbeiteten Magerflächen, die von vornherein nicht dem wirtschaftlichen Ertrag, sondern dem Schutz der Arten dienen.“
Der Ökolandbau ist kein Allheilmittel zur Lösung von Umweltproblemen, sondern hat zum Beispiel mit dem nahezu alternativlosen Kupfereinsatz seine ganz eigenen Baustellen. Das sollte von der Bio-Branche einmal zur Kenntnis genommen werden! Verbesserungen im Natur- und Artenschutz lassen sich nur erzielen, wenn die Politik für alle Landwirte Anreize setzt, hier aktiv zu werden. Eine pauschale Öko-Förderung mit der Gießkanne bringt nichts. Wenn z.B. in Mittelgebirgsregionen, wo zum Teil eh nur extensive Weidehaltung Sinn macht, großzügig Umstellungsprämien ausgeschüttet werden, generiere ich damit nur Mitnahmeeffekte, ohne eine nennenswerte Verbesserung der Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu schaffen.
Es zweifelt auch nahezu kein ernst zu nehmender Wissenschaftler daran, dass es zur Welternährung moderne und innovative Anbauverfahren braucht. Selbst Öko-Pioniere wie der Schweizer Forscher Prof. Dr. Urs Niggli sind da ganz eindeutig. So sagte Niggli vor rund einem Jahr in einem Interview zur Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung:
„Es braucht dann aber eine zweite Ökologisierungs-Strategie, die den wissenschaftlichen Fortschritt nutzt, um die Welt zu ernähren. Und diese wird genauso ihre Berechtigung haben wie der Ökolandbau.“
Solange Lobbyisten wie Dr. Felix Prinz zu Löwenstein das nicht zur Kenntnis nehmen, wird mit ihnen eine Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft sehr schwierig werden.
Sehr gut auf den Punkt gebracht und widersprüchliche Aussagen aufgedeckt. Warum nicht deutlicher?Nader Ökolandbau hat keine Leitbildfunktion http://www.animal-health-online.de/lme/2012/03/08/minus-20-okolandbau-bei-hektarertragen-deutlich-unterlegen-erheblich-zweifel-an-zukunftsfahigkeit/7192/