Hach, was war die Aufregung wieder groß gestern im Internet und speziell in den sozialen Netzwerken. Was war passiert? Die designierte neue Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner von der CDU hatte sich zum Thema Pestizideinsatz im Ökolandbau zu Wort gemeldet. „Klöckner will Ökolandwirten konventionelle Pflanzenschutzmittel erlauben“ titelte das Fachportal topagrar.com. Das löste heftige Reaktionen aus. So echauffierte sich Gerald Wehde, Pressesprecher des Anbauverbandes Bioland, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk:
„Der Verzicht auf Pestizide sei ein Grundprinzip des Ökolandbaus, das man nicht aushebeln dürfe.
Außerdem könne kein Nationalstaat bei diesem Thema einen Alleingang machen. In ganz Europa gelte nämlich die EU-Ökoverordnung.“
Dass der Ökolandbau auf Pestizide verzichtet, ist schlicht und ergreifend falsch. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit veröffentlicht auf seiner Website eine mehr als 120 Seiten umfassende Liste mit Pflanzenschutzmitteln, die explizit nach der von Herrn Wehde erwähnten Ökoverordnung zugelassen sind. Auch die Bioland-Richtlinien erlauben den Einsatz dieser Mittel.
Selbst Robert Habeck, grüner Noch-Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, tut so, als wüsste er davon nichts:
https://twitter.com/RobertHabeck/status/965655041217564672
Doch was hat Julia Klöckner eigentlich genau gesagt? Die entscheidende Passage in dem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland lautet:
„Um ihre Ernte zu sichern, würden viele Ökolandwirte gerne punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen. Dürfen sie aber nicht. Manchen Bauern kostet das die Existenz – und viele hält es davon ab, den Weg in den Ökolandbau zu wagen. Wir müssen Ökolandwirten in schlechten Phasen den Gebrauch konventioneller Pflanzenschutzmittel erlauben können, aber dazu bedarf es weiterer Forschung. Aber natürlich auch der Zustimmung der Branche und Verbände. Das geht nur gemeinsam.“
Julia Klöckner hat hier vermutlich den Öko-Weinbau im Sinn – schließlich war sie mal Weinkönigin. Das Jahr 2016 war für die Öko-Winzer in Deutschland sehr schwierig, weil sie witterungsbedingt mit Falschem Mehltau zu kämpfen hatten. Bis 2012 konnten sie bei dieser Krankheit zusammen mit Kupferverbindungen Kaliumphosphonat einsetzen, was bis dahin als Pflanzenstärkungsmittel galt. Inzwischen ist Kaliumphosphonat als Pflanzenschutzmittel zugelassen und steht daher den Öko-Winzern nicht mehr zur Verfügung, weil es als „chemisch-synthetisch“ gilt. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) hatte zwar in 2012 mit einem Gutachten versucht nachzuweisen, dass Kaliumphosphonat einen „naturstofflichen Charakter“ hat, aber offensichtlich hat das nicht überzeugt.
Die Grünen forderten 2016 in einer Pressemitteilung eigentlich etwas ganz ähnliches wie Frau Klöckner heute:
„Solange es keine Alternativen gibt, fordern wir die Bundesregierung auf, sich bei der EU für die Prüfung einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Zulassung von Kalium-Phosphonat im Öko-Weinbau einzusetzen. Wir unterstützen ausdrücklich die Forderungen der Fachministerien in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.“
Ich finde: „zeitlich und mengenmäßig begrenzte Zulassung“ ist so ziemlich das gleiche wie „punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen“. Oder?
Das Foto zeigt übrigens einen kalifornischen Feldarbeiter beim Behandeln von Bio-Blumenkohl mit einer natürlichen Seifenlösung zur Bekämpfung von Insekten. Solche Wirkstoffe sind in Deutschland beim Anbau von Bio-Blumenkohl auch erlaubt. Man beachte die Schutzausrüstung des Arbeiters.
Links:
• ECOVIN: 2016 – Herausforderungen beim Pflanzenschutz im Bioweinbau
• BÖLW: Öko-Weinbau und Kaliumphosphonat
• Nur Bio-Pestizide dürfen Bienen töten!
• Mythenjagd (1): Bio bedeutet ungespritzt
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