Bei ihrer Eröffnungsrede zum 9. Nationalen Forum zur biologischen Vielfalt in diesem Monat betonte Bundesumweltministerin Svenja Schulze, wie wichtig ihr das Thema Insektenschutz ist:

„Das Thema berührt und besorgt aber auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger. Immer tiefer sickert die Erkenntnis ein, dass wir auf kein Geschöpf verzichten können – auch weil wir uns damit selbst gefährden.“

Ein Eckpunkt des Aktionprogramms Insektenschutz, den Schulze in Grundzügen in ihrer Rede vorstellte, ist die Einrichtung eines bundesweiten Monitorings. Wissenschaftler der Universität Osnabrück erarbeiten derzeit die Konzeption. Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, erläutert in einer Pressemitteilung die Hintergründe:

„Wir brauchen dringend eine wissenschaftlich belastbare Datenbasis zum Zustand und zur Entwicklung der Insektenfauna in Deutschland, die auf bundesweit repräsentativen, systematischen Erhebungen anhand von standardisierten Methoden basiert. Das geplante Insektenmonitoring soll eine solche Basis liefern.“

Dabei muss das Rad gar nicht neu erfunden werden: In Großbritannien erfasst man seit den 60er Jahren systematisch Nachtfalter- und Blattlaus-Vorkommen. In 1964 wurde in Rothamsted nach umfangreichen Vorarbeiten die erste Fangfalle in Betrieb genommen. Ursprünglich war das Monitoring als Unterstützung für die Landwirte gedacht, um sie vorwarnen zu können, wenn Blattlaus-Populationen sich stark vermehren. „Wann Blattläuse im Jahresverlauf auftreten, ist sehr unterschiedlich“, erklärt Achim Dobermann, Direktor von Rothamsted Research, „durch die Messungen sind wir in der Lage, sehr früh warnen zu können.“ Blattläuse übertragen Viren, die Pflanzenkrankheiten auslösen, deshalb müssen sie ab einer gewissen Schadschwelle bekämpft werden. Saugfallen, nach der Bauart, wie sie in Rothamsted entwickelt wurde, kommen an rund 130 Standorten in 17 Ländern weltweit zum Einsatz.

Im Rothamsted verwendet man zwei Sorten Fallen: Lichtfallen für Nachtfalter und Saugfallen für Blattläuse. Achim Dobermann erklärt: „Unser Netzwerk hat 16 Saugfallen um migrierende landwirtschaftlich Schadinsekten in 12 Metern Höhe zu fangen, und 80 Lichtfallen in denen wir nützliche und pflanzenschädliche Nachtfalter fangen, aber auch viele andere nachtaktive Insekten.“ Die Fallen werden täglich von Freiwilligen geleert, die die Proben zur Auswertung ans Institut schicken. Bei der Auswertung wird die jeweilige Spezies bestimmt und die Zahl der Individuen erfasst. Die Ergebnisse der Blattlaus-Zählung werden in einem wöchentlichen Bulletin veröffentlicht, das rund 1.200 E-Mail-Abonnenten hat. Alle Blattlaus-Proben und ein Teil der anderen Proben werden aufbewahrt. „Die Proben werden seit 1973 gelagert, um genetische und Populationsveränderungen zu analysieren. Das Archiv hat jetzt schon mehr als 100 Millionen Insektenproben“, berichtet Achim Dobermann, „daher können wir auch Analysen machen, wie sich eine Art über einen langen Zeitraum genetisch verändert hat.“

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16 Saugfallen betreibt Rothamsted Research über ganz Großbritannien verteilt. Alle Proben werden systematisch ausgewertet, erfasst und archiviert. Quelle: Rothamsted Research

Da Aufstellorte und Konstruktion der Fallen und der Turnus der Leerungen sich über Jahrzehnte nicht verändert hat, können die Forscher in Rothamsted auf einen großen Fundus standardisierter Daten zurückgreifen: „Wir haben damit und mit früheren Systemen seit 1933 rund 45 Millionen Datensätze in unser Datenbank gesammelt, zu circa 1.500 Arten von Nachtfaltern und mehr als 400 Arten von Blattläusen, aber auch zu anderen Insekten“, bilanziert Achim Dobermann. Gibt es auch in Großbritannien ein Insektensterben? Der Wissenschaftler antwortet: „Wir verzeichnen bei den Nachtfaltern über den gesamten Zeitraum von 50 Jahren einen Rückgang von 30 Prozent – mit regionalen Unterschieden. Der Rückgang ist vor allem in den südlichen Teilen Englands zu verzeichnen, der dichter besiedelt ist, während sich im Norden kaum etwas verändert hat.“ Hinsichtlich der Ursachen ist Achim Dobermann sehr vorsichtig: „Wir können nur spekulieren, aber ich vermute, es hängt mit der fortschreitenden Urbanisierung zusammen.“

Und: Während bei den Nachtfaltern ein Rückgang von rund 30 Prozent zu verzeichnen ist, haben sich die Populationsstärken bei den Blattläusen in den letzten 50 Jahren nicht verändert. Es gibt klimatisch bedingte Schwankungen, aber der große Trend ist stabil.
Finanziert wird das Monitoring durch den Staat, der das Sammeln und Auswerten der Daten als nationale Aufgabe versteht: „Die Daten sind eine nationale Ressource, die jedem frei zugänglich ist“, erklärt Dobermann. Inklusive Personalkosten koste das Monitoring rund 500.000 £ (umgerechnet rund 568.357 €) pro Jahr.

Für die Zukunft sind ein paar Neuerungen geplant: „Wir wollen die Bestimmung der Insekten automatisieren und Daten in Echtzeit anbieten“, erzählt Achim Dobermann: „Jedes Insekt hat eine bestimmte Flügelschlagfrequenz und die kann man mit einem Laser messen, wenn das Tier durch den Strahl fliegt.“ Das Team arbeitet mit Physikern zusammen, die mit dieser Methode Eispartikel in der Atmosphäre messen. Die ersten Ergebnisse bei der Bestimmung größerer Insekten sind vielversprechend. Auch bei den kleinen Insekten sind Änderungen geplant, denn die Bestimmung der Blattläuse erfordert ein sehr geübtes Auge. Die Arbeit mit dem Mikroskop ist zudem sehr ermüdend. Hier soll demnächst die Gen-Sequenzierung zum Einsatz kommen. Den Einsatz von Freiwilligen bei der Bestimmung von Insekten sieht Doberman kritisch: „Das ist dann ja nicht mehr standardisiert.“

Könnte das Monitoring von Rothamsted ein Vorbild für Deutschland sein? Für Achim Dobermann ist die Sache klar: „Wenn man sagt »Insekten sind wichtig«, dann muss man das so machen.“

 

Zur Person

Dobermann_2015bKlein.jpgAchim Dobermann ist seit 2014 Direktor von Rothamsted Research, und leitet in dieser Funktion eine breite Palette an Forschungsprogrammen mit dem Ziel Landwirtschaft, nachhaltig zu intensivieren. Er hat mehr als 30 Jahre Feldforschungserfahrung aus vielen Regionen der Welt. Nach Studium und Promotion an der Universität Leipzig ging Dobermann 1992 als Boden-Wissenschaftler an das renommierte International Rice Research Institute (IRRI) auf den Philippinen. Von 2000 to 2007 lehrte er an der Universität Nebraska-Lincoln in den USA. In 2008 kehrte er ans IRRI zurück und übernahm dort die Forschungsleitung. Dobermann ist Mitglied des Beirats im Sustainable Development Solutions Network der Vereinten Nationen (UN). Er hat dazu beigetragen, die neuen Ziele für Nachhaltige Entwicklung der UN zu entwickeln.
Rothamsted Research ist die weltweit die älteste und in Großbritannien die größte agrarwissenschaftliche Forschungseinrichtung. In diesem Jahr feiert Rothamsted sein 175-jähriges Bestehen.

 

Bildnachweis: Rothamsted Research 

3 Antworten zu „„Wenn man sagt »Insekten sind wichtig«, dann muss man das so machen“”.

  1. Die von Dobermann vorgeschlagene Automatisierung der Insektenvielfalt muss UNBEDINGT im Zusammenhang mit der bisherhieten Invernarisierung auf Artenebene kombiniert werden, sonst entstehen Resultate, deren Vereinfachungs- und Standardisierungs-Grad wir nicht genau einschätzen können

  2. “Das Thema berührt und besorgt aber auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger. Immer tiefer sickert die Erkenntnis ein, dass wir auf kein Geschöpf verzichten können – auch weil wir uns damit selbst gefährden.” Stimmt dieser Satz wrklich, oder ist er nur Ausdruck eines disney-infantilen Zeitgeistes?

  3. […] der Ministerien) und für das Insektenmonitoring zur Verfügung gestellt werden. Zum Vergleich: Das Insektenmonitoring in Rothamsted kostet den britischen Staat inklusive Personalkosten rund 500.000 Pfund (ca. 560.000 Euro) im […]

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