Im Vorfeld von Gesetzgebungsverfahren befragt die EU regelmäßig ihre Bürger sowie die Träger von Interessen nach ihrer Meinung. Bei diesen Konsultationen kann sich grundsätzlich jeder beteiligen, auch Nicht-EU-Bürger. Eine Konsultation zu neuen Pflanzenzüchtungstechnologien endet morgen. Die Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz, kurz: Die Grünen/EFA, im EU-Parlament hat gemeinsam mit einigen Anti-Gentechnik-NGOs diese Befragung gekapert, indem sie Tausende vorformulierte Kommentare einspeiste.

Stand heute Nachmittag sind mehr als 65.000 Kommentare zum Thema „Rechtsvorschriften für Pflanzen, die mithilfe bestimmter neuer genomischer Verfahren gewonnen werden“ abgegeben worden, davon 44 Prozent aus Deutschland. Zum Vergleich: Die Konsultation „Schutz der Meeresumwelt – Überprüfung der EU-Vorschriften“ endet heute Nacht und verzeichnet bisher 102 Zuschriften, davon 3 Prozent aus Deutschland nach der offiziellen Statistik. Wie ist das möglich?

Die Fraktion von Die Grünen/EFA und weitere Organisationen, darunter die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die Aurelia-Stiftung, der Gen-ethische Informationsdienst, Demeter, IFOAM, Save our Seeds, GM Watch, der Verein Umweltinstitut München e.V. sowie Slowfood, nutzen die Proca App, ein Campaigning-Tool, mit dem sich leicht vorgefertigte Textbausteine generieren und Daten einsammeln lassen. Der Clou: Wer sich über die offizielle Seite der EU-Kommission an der Konsultation beteiligen will, muss sich registrieren. Im Zuge dieser Registrierung wird die E-Mail-Adresse verifiziert. User, die über die Eingabemaske der Proca-App ihren Kommentar abgeben, umgehen diesen Registrierungsprozess. So lassen sich nach einem Refresh der Seite mit der Eingabe-Maske weitere Kommentare abgeben, ohne dass eine Fehlermeldung erscheint. Ob die Kommentare, die mit ein und derselben E-Mail-Adresse abgegeben werden, auch gezählt werden, bleibt offen. Irritierend ist, dass der Unterschriften-Zähler auf manchen Aktions-Webseiten von der offiziellen Zählung auf der Seite der EU-Kommission abweicht. Also wird offensichtlich an irgendeiner Stelle zensiert.

Die Proca-App lässt sich leicht über Copy & Paste in die eigene Website integrieren. Hier ein Erklärvideo dazu:

Die App erfüllt drei Funktionen auf einmal:
-Die Teilnahme an Unterschriftenaktionen und Befragungen wird denkbar einfach gemacht.
-Es werden Kontaktdaten gesammelt.
-Nach Abgabe des Kommentars erscheinen Schaltflächen, über die die Kampagne einfach auf Social-Media-Kanälen geteilt werden kann. Das erzeugt Reichweite.

Ob vorgefertigte Textbausteine angeboten werden oder nicht, lässt sich voreinstellen. Besonders ausgeklügelt ist das Tool bei der Die Grünen/EFA-Fraktion: Jedes Mal, wenn die Seite neu geladen wird, erscheint ein anderer Textvorschlag. So entsteht zumindest der Anschein von Varianz.

Was die Abgeordneten der Die Grünen/EFA-Fraktion jedoch verschweigen, ist, wo der Kommentar zusammen mit dem Namen veröffentlicht wird. In der Einleitung zur Umfragemaske wird erklärt, dass man Nutzern die Möglichkeit bietet, eine Stellungnahme an die Kommission weiterzuleiten: „Wir erleichtern euch diese Arbeit – füllt einfach das Formular aus und wir sorgen dafür, dass euer Kommentar auf dem Schreibtisch der Kommission landet.“ Von der offiziellen Konsultations-Website ist hier nicht die Rede, die ist nur in einer Fußnote verlinkt. Lediglich im Kleingedruckten wird auf eine etwaige Veröffentlichung von Name und Text hingewiesen: „Euer Name und eure Nachricht können auf der Website der Europäischen Kommission veröffentlicht werden.“ Dort steht „können“, faktisch ist es aber so, dass Name und Nachricht definitiv auf der Konsultations-Website der Europäischen Kommission erscheinen, und zwar wenige Minuten nach dem Absenden. Andere beteiligte Kampagnen-Organisationen bleiben ähnlich vage, lediglich Umweltinstitut München e.V. wird da konkret und schreibt: „Ihr Name und Ihre Nachricht werden auf der Website der Europäischen Kommission veröffentlicht“, während Save our Seeds darauf hinweist, dass man für eine anonyme Abgabe des Kommentars die offizielle Seite der EU-Kommission nutzen muss.

Die EU-Kommission hat Regeln aufgestellt für „Angemessene Rückmeldungen“. Dort heißt es, dass „redundante Inhalte (mehrfache Einstellung desselben Inhalts durch denselben Nutzer)“ unerwünscht seien und von der Webseite entfernt würden. Nutzer können verdächtige Kommentare melden. Eine Anfrage an die EU-Kommission, wie sie mit den zusammenkopierten Texten umgehen will, blieb bislang unbeantwortet. Die schiere Zahl an halbautomatisch generierten Kommentaren scheint abzuschrecken und zu entmutigen, selbst eine Eingabe zu formulieren:

Auch wenn davon auszugehen ist, dass die EU-Kommission die doppelten Einsendungen nicht gelten lassen wird, hat die Kampagne somit ein Ziel erreicht: Andersdenkende einzuschüchtern und von ihrer Eingabe abzuhalten. Außerdem wird die Auswertung der Konsultation massiv erschwert – ein Sabotageakt! Die Grünen inszenieren sich selbst gerne als Fortschritts- und Wissenschaftspartei. In Sachen neuer Züchtungstechnologie könnten sie nicht rückständiger agieren und sie spielen eine zentrale Rolle bei dieser Aktion, denn sie stellen nach eigenen Angaben das „back end“, die technische Plattform, zur Verfügung:
„As Greens/EFA, we will set up the “back end” of this, meaning the system that submits the responses to the Commission. We have contracted FixTheStatusQuo, to build an open-source tool that can be used by anybody later for this sort of consultation.“

Federführend unterstützt wird die Kampagne auch vom Grünen EU-Abgeordneten Martin Häusling. Morgen starten in Berlin die Koalitionsverhandlungen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Häusling wird auch dabei sein, als Mitglied der Arbeitsgruppe Landwirtschaft.

Bildnachweis: Markus Spiske/Unsplash

4 Antworten zu „Demokratie saBOTiert”.

  1. Du möchtest also weniger öffentliche Beteiligung an den öffentlichen Beteiligungsprozessen der EU-Kommision, weil Dir die inlahltichen Standpunkte der sich Beteiligenden nicht passen? Was genau ist daran demokratisch? Wieso sind niederschwellige Beteilungsangebote an die Offentlichkeit Spam?

    Jeder Kommentar wird von einer realen Person übermittelt, und niemand ist gezwungen, Formulierungsvorschläge zu übernehmen. Statt zu versuchen das zu skandalisieren solltest Du lieber diese elitäre Denke ablegen und die
    zahlreichen Befürwortenden genetischer Manipulation motivieren, sich ebenfalls zu beteiligen, so es sie denn gibt.

    1. Bitte lesen Sie meinen Text sorgsam: Das Proca Tool umgeht den Registrierungsprozess und die E-Mail-Verifikation. Es scheint somit möglich zu sein, dass man mit derselben E-Mail-Adresse mehrere Kommentare abgeben kann. Das widerspricht den Regeln einer solchen Konsultation. Ich habe sowohl die Die Grünen/EFA-Fraktion als auch einige beteiligte Organisationen angeschrieben mit der Bitte, dazu Stellung zu beziehen. Leider hat bisher niemand geantwortet.

  2. @coffee: Sie haben wohl den obigen Text nicht ganz verstanden: Durch die Nutzung der App können User den Registrierungs- und Verifizierungsprozess umgehen! Damit können endlos viele Kommentare eingegeben werden, die nicht von einzelnen verifizierten Nutzern stammen. Man simuliert nur eine Mehrheit.

  3. […] Manipulation einer Konsultation der EU-Kommission durch die Grünen im Europäischen Parlament zieht weitere Kreise. Nachdem bereits am Wochenende der EVP-Abgeordnete Thomas Berger in der […]

Kommentar verfassen

Angesagt