Bald soll man Urin-Tests auf Glyphosat in Apotheken kaufen können, meldete kürzlich der WDR. Lohnt sich die Investition von rund 50 Euro? Schließlich ist das Herbizid nach Auffassung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) „wahrscheinlich krebserregend“. Auch das Umweltbundesamt (UBA) meldete Anfang des Jahres, dass man in archivierten Urinproben Glyphosat gefunden habe. UBA-Präsidentin Maria Krautzberger wird in der Süddeutschen Zeitung mit den Worten zitiert:
„Die im Urin gemessenen Konzentrationen liegen zwar deutlich unter den akzeptablen Mengen. Die Ergebnisse liefern aber dennoch Grund zur Besorgnis.“
Die private Initiative Urinale hatte mit Unterstützung zahlreicher NGOs mehr als 2.000 Urinproben ausgewertet und ebenfalls Glyphosat entdeckt.
Wenn man danach suchen würde, fände man in der Größenordnung Mikrogramm pro Liter oder Nanogramm pro Milliliter vermutlich Hunderte, wenn nicht sogar Tausende verschiedener Substanzen in unserem Urin. Das UBA untersucht regelmäßig den Urin von Bundesbürgern im Rahmen eines Humanmonitorings. Es geht dabei u.a. darum festzustellen, wo die Durchschnittswerte der Belastung liegen, damit der Staat im Falle von signifikanten Veränderungen reagieren kann.

Ein Stoff, der unter Beobachtung steht, ist zum Beispiel das Element Arsen. Arsen ist ein Halbmetall und kommt überall in der Erdkruste vor. Daraus resultiert, dass wir täglich kleine Mengen Arsen mit dem Trinkwasser und der Nahrung aufnehmen. Der Einsatz arsenhaltiger Arzneimittel ist seit der Antike belegt. Auch zur Schädlingsbekämpfung wurden Arsenverbindungen verwendet. In der Geschichte sowie in Literatur und Film erlangte Arsen zweifelhafte Berühmtheit als das Mordgift schlechthin.
Viel Arsen ist zum Beispiel in Fisch und Meeresfrüchten sowie in Reis. Daher sind Reiswaffeln auch kein geeigneter Snack für Babys und Kleinkinder. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Aufnahme belasteter Reisprodukte für möglich. Das Institut schreibt in einer Stellungnahme:
„Für die kanzerogene Wirkung von anorganischem Arsen lässt sich keine sichere Aufnahmemenge angeben, die nicht mit einer Erhöhung des Krebsrisikos in Verbindung stehen kann. Gesundheitliche Risiken bezüglich kanzerogener Effekte durch die Aufnahme von anorganischem Arsen aufgrund des Verzehrs von Reis und Reisprodukten sind daher möglich.“
In manchen Regionen kann das Trinkwasser mit Arsen belastet sein. Auch in Bier wurden schon Belastungen über den Trinkwassergrenzwerten nachgewiesen.
Die IARC hat sich zuletzt im Jahr 2012 mit Arsen und seinen Verbindungen auseinander gesetzt. Das Urteil lautet „krebserregend“, und dieses Urteil ist in der Fachwelt völlig unumstritten.
Die letzten Monitoring-Werte des UBA für Arsen im Urin von Erwachsenen sind aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Ich beziehe mich daher auf auf eine Untersuchung des Urins von Kindern (3 bis 14 Jahre alt) aus dem Jahr 2009. Hier wurden in den Bezugsjahren 2003 bis 2006 folgende Werte ermittelt:
„Die Arsenkonzentrationen im Urin von drei- bis 14-jährigen Kindern in Deutschland (N=1734) lagen 2003 bis 2006 zwischen <0,6 und 190 µg/l mit einem Median von 4,5 µg/l.“
Aus diesen Befunden leitet das UBA einen Referenzwert von 15 µg/l ab. In der älteren Untersuchung über Erwachsene wurde ebenfalls ein Referenzwert von 15 µg/l festgelegt. Dieser sogenannte Referenzwert wird statistisch ermittelt und ist eine Messgröße für die Hintergrundbelastung der Bevölkerung. Die Definition aus der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. lautet:
„Als Referenzwert wird nach allgemein verwendeter Definition das 95. Perzentil (exakt: das 95%-Konfidenzintervall des 95. Perzentils) aller aus einer repräsentativen Stichprobe der Allgemeinbevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe ermittelten Konzentrationen eines Fremdstoffs oder eines Fremdstoffmetaboliten bezeichnet.“
Man kann also davon ausgehen, dass die weitaus meisten Menschen hierzulande bis zu 15 µg/l Arsen im Urin ausscheiden.
Der Referenzwert für Arsen ist somit mehr als fünfmal so hoch wie der höchste vom UBA für Glyphosat ermittelte Wert. Auch wenn man den höchsten Wert aus der Urinale-Aktion (4,2 µg/l) ansetzt, ist der Referenzwert für Arsen immer noch dreimal so hoch. Das heißt: Die allgemein akzeptierte Belastung der Bevölkerung mit einem Karzinogen der IARC-Gruppe 1, bei dem die Wissenschaft sich einig ist, dass es krebserregend ist, ist wesentlich größer als die Belastung mit einer Substanz, die von großen Teilen der Forschung als verhältnismäßig harmlos angesehen wird.
Kurzum: Ich glaube, man kann sich die 50 Euro für den Glyphosat-Urintest getrost sparen. Stattdessen sollte man sich verwundert die Augen reiben und mal ein paar unangenehme Fragen an die Politik stellen: Arsen lässt sich aus dem Trinkwasser herausfiltern. Reis ist immer noch eine Standardzutat für Babynahrung. Die Hersteller rühmen sich, dass sie Rohstoffe aus biologischem Anbau einsetzen, das spielt für den Gehalt an Arsen aber keine Rolle. Immerhin wurden im letzten Jahr auf Empfehlung des BfR in der EU Höchstgehalte für anorganisches Arsen in Reis- und Reisprodukten festgelegt. Doch reicht das? Wo bleiben die Aufklärungskampagnen? Noch einmal: Das BfR kann hinsichtlich des Krebsrisikos keine sichere Aufnahmemenge festlegen. Und dann akzeptieren wir alle das einfach so? Wo bleibt der Aufschrei „ich will kein Gift im Essen“? Wo die Kampagnen „Gift auf dem Teller“, „Arsen tötet“? Niemand bemüht hier das Vorsorgeprinzip: Warum Reis dann nicht besser gleich verbieten, wenn man das Krebsrisiko nicht ausschließen kann? Wären die Damen und Herren, die sich derzeit so entschieden gegen die Genehmigung von Glyphosat einsetzen, konsequent, müssten die Zeitungen und Fernsehkanäle voll sein mit Mahnungen und Forderungen in dieser Richtung. Sind sie aber nicht.
Erschreckend: man kann den Arsengehalt in Nahrungsmitteln (zumindest in manchen Fällen wie z.B. Reis) reduzieren – man tut es aber nicht. Gerade bei den heute so beliebten Reiswaffeln wäre es angebracht, für jede Charge den Arsengehalt zu bestimmen und auf der Packung anzugeben.