Der Begriff „postfaktisch“ hat gute Aussichten, Unwort des Jahres 2016 zu werden. Dabei ist Postfaktizität nichts Neues, wenn man darunter versteht, Fakten so bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen, dass sie in die eigene Ideologie passen. Das gab es nämlich schon immer.

Auch in Sachen Landwirtschaft hat viel Postfaktisches inzwischen Eingang in den Mainstream gefunden – leider. Ich will die Adventszeit nutzen, ein paar Postfakten vorzustellen. Heute geht es um virtuelles Wasser.

Dr. Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, hat in diesem Jahr ein Buch vorgelegt mit dem Titel „Fleischfabrik Deutschland“. In diesem Buch findet der geneigte Leser auf Seite 67 die folgende Grafik „Wasserverbrauch für die Produktion von Lebensmitteln“:

waterfootprint.png

Leider ist dort keine Quelle angegeben, woher diese Zahlen konkret stammen. Ich vermute, die Daten gehen letztlich auf die Organisation Water Footprint Network  zurück, denn auch der Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung und andere Umweltverbände beziehen sich darauf.

Die Darstellung mit dem Wasserhahn suggeriert, dass hier Trinkwasser aus der öffentlichen Leitung gemeint ist. Das ist aber nicht der Fall. Der größte Teil Wasser (94 Prozent), der in der Rindfleischproduktion verbraucht wird, ist sogenanntes virtuelles grünes Wasser. Das heißt: Regenwasser, das auf die Wiesen fällt, wo die Kühe grasen. Die Produktgalerie des Water Footprint Networks dröselt das detailliert auf. Neben grünem Wasser wird bei der Rindfleischproduktion auch graues (3 Prozent) und blaues Wasser (4 Prozent) verwendet. Blaues Wasser ist Oberflächen- und Grundwasser, das verbraucht wird, und graues Wasser ist letztlich Abwasser.

Funfact, das uns Dr. Hofreiter verschweigt: Je extensiver die Haltung ist, sprich: je mehr Weidegang das Tier hat, desto größer wird der Wasserfußabdruck, denn um so länger dauert es, ein Kilo Fleisch zu produzieren. Nur bei Lichte betrachtet ist das unkritisch, denn auch hier geht es vor allem um Niederschlag und den gibt es hierzulande reichlich.

3 Antworten zu „Postfaktischer Adventskalender, Teil 1: Wasserfußabdruck”.

  1. Was man nebenbei in der Grafik aus dem Buch sieht: dort scheinen die größeren Mengen im Verhältnis zu den kleineren viel größer, als sie tatsächlich sind.

    Ich habe spaßeshalber die beiden größten Tropfen gemessen: Der Tropfen für Rindfleisch ist genau doppelt so lang wie der Tropfen für Schweinefleisch. Das ergäbe aber (wie bei allen flächenhaften Darstellungen) die vierfache Fläche.

    Ob das bewusst manipuliert wurde, weiß ich nicht. Zwischen der Pizza und dem Schweinefleisch sieht das Verhältnis z. B. besser aus. Somit könnte es auch Fahrlässigkeit oder Gedankenlosigkeit gewesen sein.

    Aber diese Methode oder wahlweise diesen Fehler findet man seit Jahrzehnten in »So lügt man mit Statistik«.

  2. Der Wasserfußabdruck von Rindfleisch ist hier http://www.waterfootprint.org/Reports/Report-48-WaterFootprint-AnimalProducts-Vol1.pdf (Englisch!) sehr ausführlich erklärt. Resultat nach deren Rechnung:
    15.400 l Wasser pro kg Rindfleisch.
    Zu beachten ist, dass dies ein weltweiter Mittelwert sein soll.

    Der Fußabdruck schwankt stark nach Land und Haltungsform. Für fast jedes Land und verschiedene Haltungsformen finden sich die Werte hier in der Zeile „Bovine cuts boneless, fresh or chilled“.
    Die unterschiedenen Haltungsformen reichen von „grazing“ (Weidehaltung) bis „industrial“.

    Hier mal die Werte für ein paar Länder (Grazing – Mittelwert – Industrial):
    Weltweit: 21829 15415 10244
    Deutschland: 12229 7712 5991
    Österreich: 0(?!) 8300 6061
    Schweiz: 0(!?) 6981 4827
    USA: 20217 14191 3856
    Brasilien: 23895 19488 8813
    Russland: 15793 17220 25465
    Ägypten: 57424 18500 22055
    Äthiopien: 100967 34182 8394

    Fazit: Mitteleuropäisches Rindfleisch hat nur etwa den halben Wasser-Fußabdruck des weltweiten Durschschnitts.
    Weiteres Fazit: Intensivhaltung hat tendenziell einen niedrigeren Wasser-Fußabdruck als Extensivhaltung.
    Und den Äthiopiern muss umgehend die Weiderinderhaltung verboten werden! 😈

    Lässt man das von den Pflanzen aufgenommen Regenwasser (= „grünes“ Wasser) aussen vor, bleiben nach deren Rechnung im weltweiten Mittel noch 1000 l „blaues“ und „graues“ Wasser übrig (also Bewässerung, Tränkewasser, Reinigung, …).
    Zum Vergleich auch hier die Werte für einzelne Länder und Haltungsform:
    Weltweit: 708 1001 1395
    Deutschland: 1146 1037 977
    Österreich: 0(?!) 720 674
    Schweiz: 0(?!) 769 638
    USA: 1115 1258 907
    Brasilien: 166 260 391
    Russland: 610 957 1873
    Ägypten: 23954 9313 14427
    Äthiopien: 337 334 296

    Fazit: Beim „blauen“ und „grauen“ Wasser liegt die Extensivhaltung tendenziell vor der Intensivhaltung. Gilt aber nicht für Deutschland.

    Es ist also für jede Sichtweise eine passende Zahl dabei…

    (Quelle: http://www.landtreff.de/fleischatlas-t81510-75.html#p951850)

Kommentar verfassen

Angesagt