Täglich gibt es neue Positionierungen in den Medien zu den Bauernregeln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). Auch die Ministerin selbst hat inzwischen Stellung genommen in einem Brief an ihren Kollegen Landwirtschaftsminister Christian Schmidt. Trotzdem spalten die Sprüche weiterhin die Gemüter. Dr. Barbara Hendricks erläutert in dem öffentlichen Schreiben ihre Motive:
„In der Tat steht dies im Zusammenhang mit dem Bürger-Beteiligungsverfahren zur Zukunft der europäischen Agrarpolitik. Ich möchte dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen in unserem Land sich daran beteiligen. Es geht um das System der Agrarförderung und damit um die Neuordnung des größten Ausgabenpostens in der EU. Über den gesamten nächsten Finanzplanungszeitraum wird es um einen deutlich dreistelligen Milliardenbetrag an Steuergeldern gehen. Da ist es wichtig, dies nicht nur als Diskussion innerhalb der Landwirtschaft anzusehen, sondern eine, die letztlich jeden angeht.“
Die Ministerin möchte also darauf aufmerksam machen, dass EU-weit eine Online-Befragung der Bürger zur Agrarpolitik gestartet ist. Bei dieser sogenannten Konsultation kann jeder seine Meinung äußern, wie die EU ihre Agrarförderung in den nächsten Jahren gestalten soll. Dieses Element direkter Demokratie sollten möglichst viele Menschen nutzen – das sehe ich auch so. Nur, wie gut wurde diese Absicht in den Werbemaßnahmen des BMUB umgesetzt?
Ich möchte mal heute einen handwerklichen Blick auf die Plakat-Motive werfen. Schließlich habe ich auch einmal im PR-Bereich gearbeitet. Wie hätte ich eigentlich die Intention der Kampagne, Dialog und Diskussion zu fördern und die Teilnahme an der Konsultation anzuregen, umgesetzt? Doch schauen wir uns erst einmal eins der Plakate an:
Der geschilderte Sachverhalt wurde hier offensichtlich dem Zwang, eine bestimmte Form einhalten zu müssen, untergeordnet. Auf einem Bein steht ein Schwein gar nicht mehr, würde ich sagen, sondern es liegt wohl eher. Was das Thema Tierwohl im Umweltministerium zu suchen hat, bleibt vermutlich ein Rätsel. Eventuell ist das aber auch eine bewusste Kompetenzüberschreitung, um entsprechende Reaktionen zu provozieren. – Hat ja auch geklappt. – In der Konsultation kommt das Thema Tierschutz aber kaum vor. Teilnehmer, die um mehr Tierwohl bemüht sind, können ihre Präferenz nur bei wenigen Fragen unterbringen.
Ob das Motiv Aufmerksamkeit erweckt, wage ich zu bezweifeln. Normalerweise wird mit großen Fotos oder Bildern gearbeitet – Eyecatchern halt. Wenn ein Plakat allein mit Text Aufmerksamkeit erwecken will, muss die Schrift „knallen“, also klar und deutlich ins Auge fallen. Wir erinnern uns an die „Umparken-im-Kopf“-Kampagne von Opel: Schwarze Blockbuchstaben auf gelben Grund, Logo, flotter Spruch – das hat neugierig gemacht. Die Schrift von den Bauernregelplakaten ist schlecht lesbar. Der Kontrast zum Hintergrund könnte klarer sein. Der Retrochic-Stil hat natürlich einen gewissen Charme, aber das war es dann auch. Es gibt noch einen entscheidenden Unterschied zur Offensive des Autoherstellers: Die Opel-Plakate hatten alle ein sogenanntes Response-Element, also eine einfache Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen, umgesetzt durch einen QR-Code sowie einen Hashtag. Die Plakate des BMUB verweisen lediglich auf die Website „bundesumweltministerium.de/bauernregeln„. Wer soll sich diese Buchstabenkolonne merken, geschweige denn eintippen? Das macht doch keiner. Wer die Mühe auf sich nimmt, gelangt zur Kampagnen-Website http://www.neue-bauernregeln.de/. Warum wurde eigentlich nicht dieser einfachere und viel einprägsamere Link auf die Plakate gedruckt?
Zurück zur Ausgangsfrage: Auf den Plakaten stand ja nichts von der EU-Konsultation zur Agrarpolitik, dann wird bestimmt auf der Website dafür geworben werden. Schließlich wollen wir die Menschen ja animieren mitzumachen. Pustekuchen: Wer auf den roten Button „Mehr Infos zum Thema“ klickt, gelangt zu einer Seite, auf der bekannte BMUB-Positionen zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und zur sogenannten Intensivtierhaltung recycelt werden, kein Hinweis zur Konsultation. Hinter dem Link „Aktuelles“ gelangt man schließlich zu einer Nachrichtenübersicht. Dort gibt es einen Nachrichten-Teaser zur Bürgerbefragung mit Datum vom 4. Februar 2017. Klickt man hierauf gelangt man tatsächlich zur Startseite der Konsultation. Das war jetzt sehr mühselig.
Wenn ich wirklich Menschen motivieren will, an einer umfangreichen Onlineumfrage teilzunehmen, noch dazu an einer sehr langen (rund 20 Minuten) und sehr abstrakten, dann muss ich ihnen zumindest den Start erleichtern, diese Umfrage überhaupt im Netz zu finden, zum Beispiel mit einem QR-Code, der direkt zur Startseite der Befragung führt oder meinetwegen zu einer Website des BMUB, die eventuell noch ein paar technische Tipps gibt. Die im Brief der Ministerin getätigten Aussagen zur Intention der neuen Bauernregeln sind somit in höchstem Maße unglaubwürdig.
Ich hätte mich zudem auf positive Botschaften konzentriert wie „Ringelblum‘, Klee und Phacelia sind für die wilden Bienen da.“ Mit diesem Satz hätte man die Chancen illustrieren können, die die Neugestaltung der EU-Agrarförderung bietet, nämlich Bauern z.B. bei der Anlage von Blühstreifen und -flächen weiterhin zu unterstützen und damit Lebensräume für Tiere zu schaffen. Wenn man gewollt hätte, wäre es möglich gewesen, alle Themenbereiche positiv zu beschreiben. Damit wäre man den Landwirten dann auch nicht auf die Füße getreten. Wenn man gewollt hätte …
Der Hashtag „#Agrarwende“ ist von Bündnis 90/Die Grünen als politischer Kampfbegriff etabliert worden. Der Ausdruck ist damit belegt. Er steht für einen von manchen NGOs zum Teil radikal geforderten Systemwechsel. In ihren Social Media Maßnahmen verwenden auch das BMUB und seine Chefin diesen Hashtag. Darum wundert es etwas, wenn die Ministerin schreibt:
„Erst durch die bewusste Fehldeutung, es handele sich um eine Kampagne gegen die gesamte Landwirtschaft, wird doch ein Zungenschlag herbeigeredet, den es in den Aussagen auf den Plakaten gar nicht gibt.“
Die Plakate sind in der Tat wenig aussagekräftig. Ich glaube inzwischen, sie dienen lediglich dem Zweck, im Netz für Gesprächsstoff zu sorgen. Von daher reicht es nicht, nur die Offline-Inhalte anzuschauen, um den Ärger der Bauern zu verstehen. Auf den nebulösen Inhalt der Plakate angesprochen antwortet der Pressesprecher des BMUB auf Twitter:
Vielleicht nicht zum Ausdruck aber zum Auslösen vieler Beiträge, von Satire, Kritik und Anregung.
— StephanGabrielHaufe (@HaufeStephan) February 7, 2017
War der Shitstorm somit von Anfang an einkalkuliert, um die Inhalte von Hendricks Agrarpolitik bekannter zu machen?
Eins hat Frau Dr. Hendricks mit ihrer Kampagne auf jeden Fall geschafft: Viele Landwirte sind durch die Bauernregeln erst auf die Konsultation aufmerksam geworden und sind jetzt hoch motiviert, den Online-Fragebogen auch gewissenhaft auszufüllen.
Die Ministerin hat dieser Tage jedenfalls viel Gelegenheit, ihre Dialogbereitschaft unter Beweis zu stellen. Denn sie dürfte derzeit eine Menge Post bekommen.
Übrigens: Ich habe den Fragebogen zur EU-Konsultation schon ausgefüllt und abgeschickt. Und Du?
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