Zwei Schritte vor, einer zurück

Die Delegierten von Bündnis 90/Die Grünen verabschieden an diesem Wochenende ein neues Grundsatzprogramm. Bereits im Vorfeld hat das Thema „Gentechnik“ für einigen Wirbel gesorgt: Dr. Dorothea Kaufmann, Wissenschaftlerin und Stadträtin aus Heidelberg, hatte in ihrem Änderungsantrag gefordert, neue gentechnische Verfahren produktbasiert und nicht prozessbasiert zu bewerten.

Immerhin erhielt Kaufmann für ihr Plädoyer, Gentechnik auf wissenschaftlicher Basis zu bewerten, rund 27 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Die Rede von Dorothea Kaufmann im Wortlaut:

„Liebe Freundinnen und Freunde,
Wir bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN waren die erste Partei, die in Deutschland das Thema Umweltschutz auf die Tagesordnung gesetzt hat, die ersten beim Ozonloch, und beim Klimawandel.
Warum? Wir haben auf die Wissenschaft gehört und das sollten wir weiterhin tun.
Als überzeugte grüne Politikerin und als überzeugte Wissenschaftlerin sage ich euch:
Pflanzen, die durch neue gentechnische Verfahren wie die Genomeditierung hergestellt wurden, sind naturidentisch. Sie können nämlich genau so durch ungerichtete spontane Evolution entstehen. Sie sind weder für den Menschen noch für die Umwelt gefährlich, darin sind sich weltweit alle Wissenschaftsorganisationen einig. Das ist das Ergebnis von drei Jahrzehnten Risikoforschung, mehr als 3.000 Studien und der Evaluierung durch mehr als 280 wissenschaftlicher und öffentlicher Einrichtungen.
Noch einmal: Die so gezüchteten Pflanzen sind naturidentisch. Es ist somit unsinnig, nach Nachweisen zu suchen für etwas, das schlichtweg nicht zu finden ist. Und warum sollte man Naturidentisches kennzeichnen müssen?
Wir Wissenschaftler_Innen züchten Pflanzen, die weniger Mineraldünger brauchen, weniger Wasser und Pestizide. Wir steigern Erträge für Bäuer_Innen. Wir können auch im Bereich Bioenergie schnell zu ertragreicheren Blühpflanzen kommen. Sie bilden Insektennahrung und lösen die öden Monokulturen ab. Das Energiefeld summt und brummt.
Die neuen Verfahren sind einfach und preiswert. Sie können tatsächlich von öffentlichen Forschungsreinrichtungen problemlos angewandt werden, die konventionelle Züchtung nicht. Zahlreiche Beispiele in Afrika zeigen, wie mit örtlichen Landwirt_Innen lokale Nutzpflanzen verbessert werden. So ist es zum Beispiel Frau Professor Leena Tripathi in Nairobi, Kenya, gelungen, mittels CRISPR/Cas eine Kochbanane zu züchten, die länger haltbar und gegen Viren immun ist. So wird die Versorgung mit diesem Grundnahrungsmittel in Afrika und Asien gesichert.
Viele von euch verstehen den Ausspruch „Gentechnik – Nein Danke“ als „Grüne DNA“. Dabei ist das Ergebnis der Neuen Grüne Gentechnik nicht mehr vom Naturgeschehen und von konventionellen Verfahren zu unterscheiden.
1997 wurde beim Kongress über „Gen-Medizin“ beschlossen, und ich zitiere wörtlich: „Bündnis 90/Die Grünen lehnen Gentechnik grundsätzlich und für alle Anwendungsbereiche ab.“ Wäre es also nach uns gegangen, hätten wir heute kein gentechnisch hergestelltes Insulin, keine monoklonalen Antikörper gegen Krebs, wäre der Nobelpreis dieses Jahr nicht an eine Forscherin der Charité Berlin gegangen. Und wir hätten auch nicht die Aussicht auf einen Impfstoff gegen Corona.
Ich möchte in einigen Jahren in der Zeitung lesen, dass bei uns die Forschung in der Gentechnik Bahnbrechendes geleistet und der Welt neben einem Impfstoff gegen die Corona-Pandemie auch neue Lösungen für mehr Nachhaltigkeit auf dem Acker verschafft hat: Pflanzen nämlich, die einen Beitrag dazu leisten, drängende Probleme des Klimawandels für die Landwirtschaft und die Welternährung zu lösen. Wir sollten dieses Mal wieder der Wissenschaft vertrauen – anstatt an ihr zu zweifeln und ihre Aussagen zu diskreditieren!“

Verabschiedet wurde schließlich der Änderungsvorschlag des Bundesvorstandes der Grünen:

„In Medizin und biotechnologischen Anwendungen konnten durch die Gentechnik wichtige Fortschritte erzielt werden, während im Agrarbereich ihre Anwendung zu neuen Problemen geführt hat. Wie bei jeder Technologie muss der politische Kompass zum Umgang mit alten wie neuen gentechnischen Verfahren sein, einerseits die Freiheit der Forschung zu gewährleisten und andererseits bei der Anwendung Gefahren für Mensch und Umwelt auszuschließen. Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum. Es gilt daher, an einem strengen Zulassungsverfahren und am europäisch verankerten Vorsorgeprinzip festzuhalten. Dazu bleiben Risikoprüfungen auf umfassender wissenschaftlicher Basis und eine Regulierung nötig, die unkontrollierbare Verbreitung ausschließen und über eine verbindliche Kennzeichnung die gentechnikfreie Produktion und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen schützen. Entsprechend braucht es eine Stärkung der Risiko- und Nachweisforschung. Gerade im Agrarbereich soll die Forschung zu alternativen Ansätzen, die auf traditionelle und ökologische Züchtungsverfahren setzen, gestärkt werden.“

Letztlich ist das eine sehr allgemein gehaltene Formulierung, die viel Interpretationsspielraum lässt. So feierte der ehemalige Landwirtschaftsminister von Niedersachen, Christian Meyer, dass man am Verbot von Freisetzungen festhalte:

Klar ist nach der neuen Beschlusslage, dass die Grünen nach wie vor fordern, dass alte wie neue Gentechnik durch „strenge Zulassungsverfahren“ reguliert werden müssen. Für die Praxis bedeutet dies ein Quasi-Verbot, weil die EU-Verfahren langwierig sind und selbst bei einwandfreier Risikoprüfung keinen positiven Ausgang gewährleisten. Darauf lässt sich inzwischen kein Zuchtunternehmen mehr ein.

Eine Vorentscheidung zum Gentechnik-Beschluss gab es bereits im Themenblock „Nachhaltigkeit“. Im Kapitel „Lebensgrundlagen schützen“ wurde folgender Passus zum Thema „Landwirtschaft“ beschlossen:

„Sie [gemeint ist Landwirtschaft, Anm. d. Red.] arbeitet ressourcenschonend, naturverträglich und orientiert sich am Leitbild der ökologischen Landwirtschaft mit ihren Prinzipien Tiergerechtigkeit, Gentechnikfreiheit und Freiheit von synthetischen Pestiziden.“

Der Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer betonte in seiner Gegenrede zum Änderungsantrag von Dorothea Kaufmann, dass der Vorschlag des Bundesvorstandes hier keinen Widerspruch im Programm verursachen würde. Das war vermutlich ein starkes Argument für die Delegierten. Ernüchternd an der Formulierung, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft und ländliche Entwicklung eingebracht worden war, ist zudem das Zugeständnis an den Ökolandbau als Leitbild. Hier wird der Wille zur Klientelpolitik für die Ökoanbauverbände zementiert und werden rund 87 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe, das ist der Anteil der konventionellen Höfe in Deutschland, degradiert. Zum Vergleich: Das landwirtschaftliche Leitbild des Weltklimarates IPCC, der in anderen Zusammenhängen sonst gerne zitiert wird, ist „sustainable Intensification“ („nachhaltige Intensivierung“). Gerade unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes empfiehlt es sich nicht, auf den Ökolandbau zu setzen, weil er zu viel Fläche verbraucht, die dann etwa für Bewaldungsprojekt fehlt. Auch hier bleiben die Grünen hinter der Realität zurück.

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1 Kommentar zu „Zwei Schritte vor, einer zurück“

  1. Neben den hohen Kosten für Zulassungsverfahren und verschwindend geringen Chancen für eine Genehmigung (opt-out) kommt noch eine Kleinigkeit hinzu, warum sich die Forschung auf dem Rückzug befindet: Feldversuche können zwar beantragt werden, macht aber niemand. Das „Standortregister“ verpflichtet die Wissenschaft, einen genauen „Anreiseplan“ für „Aktivisten“ zu veröffentlichen, d.h. die Zerstörung der Versuchsfelder ist bereits im Antragsverfahren eingebaut.

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