Nicht-Regierungs-Organisationen oder NGOs (für „Non-Government-Organisations“) genießen eine hohe Glaubwürdigkeit bei Journalisten. Es wird Ihnen unterstellt, dass sie keine monetären, sondern allein – oder zumindest auch – ideelle Ziele haben und deswegen bestimmt nicht lügen. Doch ist dieses Urvertrauen gerechtfertigt? Woher rührt der Glaube, dass Menschen, die sich z.B. den Umwelt- und Naturschutz auf die Fahne geschrieben haben, selbstlos sind?

Problematisch wird es spätestens, wenn sich politische Ziele von NGOs mit denen von politischen Parteien decken. Denn die Parteien spielen, sobald sie Regierungs­ver­antwortung übernehmen, in einem System mit, dass eine demokratische Legitimation erfordert. NGOs haben diese Legitimation nicht. Sie wirken aber trotzdem massiv bei der Meinungsbildung mit, und zwar gerade weil sie bei den Journalisten so hoch im Kurs stehen. In Deutschland lässt sich beobachten, dass sich die Kampagnen von Bündnis 90/Die Grünen und Naturschutz-Organisationen wie Greenpeace, BUND, NABU und Campact gegenseitig flankieren und verstärken. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier Absprachen getroffen werden.

Insofern die Kampagnen von NGOs und Partei die Landwirtschaft und ihre Produkte betreffen, kommt noch ein weiterer Player hinzu: Bio-Einkaufs- und Anbauverbände oder Zusammenschlüsse wie „Lebensmittel ohne Gentechnik“ (VLOG), die ihr Allein­stellungs­merkmal vor allem aus der Negation der konventionellen Landwirtschaft speisen: ohne Gift, ohne Gentechnik, ohne Massentierhaltung etc. Hier ist meines Erachtens in den letzten beiden Jahrzehnten ein politisch-ökologischer Komplex zusammengewachsen, der in der Lage ist, anders lautende Meinungen im öffentlichen Diskurs zu unterdrücken, und zwar gegen den Konsens der Wissenschaft, dass etwa Grüne Gentechnik sicher ist, und gegen das Interesse der meisten Konsumenten, denn nach wie vor ist das Bio-Segment im Lebensmittelhandel eine Nische.

Die Themen der Kampagnen werden oft so gewählt, dass den Menschen Angst gemacht wird. Zum Beispiel werden regelmäßig Stichproben veröffentlicht, bei denen in Fleisch- und Fleischprodukten antibiotikaresistente Keime gefunden werden. Hier eine Übersicht aus den letzten Jahren:

2012
09.01.12, BUND: „Hähnchenfleisch in Supermärkten mit antibiotikaresistenten Krankheitskeimen belastet

2013
14.01.13, Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen: „Resistente Keime breiten sich aus

2014
21.05.14, Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen: „Antibiotikaresistenzen in der Wurst

11.08.2014, Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen: „Keime im Grillfleisch

November 2014, Peta: „Schockierende Ergebnisse

2015
12.01.2015, BUND: „Putenfleisch aus Discountern mit antibiotikaresistenten Keimen belastet

Juli 2015, ÖKO-TEST: „Grillfleisch: Unter aller Sau

Das liest sich fast wie ein Marketingplan. Verdächtig ist, dass keine Dopplungen vorkommen. Da das Thema viele berührt, könnten doch Grüne und BUND gleichzeitig mal auf die Idee kommen, Grillfleisch zu testen. Das passiert aber nicht. Honi soit qui mal y pense.

In den Medien wird die Ursache für Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen beim Menschen gerne in der sogenannten Massentierhaltung angesiedelt. Ein Beispiel ist dafür die Serie „Die Rache aus dem Stall“ im November 2014 in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Genetische Analysen der gefundenen Bakterienstämme sprechen jedoch eine andere Sprache. So stammen nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) 95 Prozent der problematischen Keime aus der Humanmedizin.

Währenddessen tut Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, seines Zeichens Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), gerade so, als ob Antibiotika in der Bio-Tierhaltung kein Thema wären. Das ist falsch, nur die Wartezeiten sind hierzulande im Biobereich länger. So verkündet er im Deutschlandfunk:

„Bei der Haltungsart, die zu Hühnern führt, die Sie tiefgefroren im Supermarkt für drei Euro das Stück erwerben können, ist es systemimmanent, dass auch diese Art von Medikamentenmissbrauch stattfindet. Da gibt es keinen Kompromiss.“

Das Thema antibiotikaresistenter Keime eignet sich hervorragend für eine konzertierte Kampagne:

  • Es werden Ängste, Ohnmachtsgefühle und Wut erzeugt: Mit Emotionen lassen sich Menschen am besten steuern.
  • Der Verbraucher soll misstrauisch werden gegenüber Fleisch aus der konventionellen Produktion. Am besten, der Konsument reduziert seinen Fleischkonsum oder stellt ihn ganz ein.
  • Politische Ziele wie die Verhinderung von Stallbauten lassen sich mit emotionalisierten Bürgerinitiativen leichter erreichen. Durch öffentlichen Druck lassen sich neue Auflagen leichter durchsetzen.
  • Bio-Ware erscheint sicherer und attraktiver.
  • Um die Bedrohung realistisch einschätzen zu können, muss ich mich informieren. Dafür nehmen sich die wenigsten Menschen Zeit. Außerdem besetzen die NGOs die Medienkanäle.

Andere Themen wie Pestizide in Obst und Gemüse, TTIP, Gentechnik oder Nitrat im Grundwasser funktionieren nach dem gleichen Schema und werden ebenfalls konzertiert bespielt. Als Road-Show kann man diesen Cocktail alljährlich auf der „Wir haben es satt„-Demonstration in Berlin bewundern, die parallel zur Grünen Woche abgehalten wird. Hier sind sie dann auch alle versammelt von Bioland, Demeter über die Grünen und Greenpeace bis zur taz – vereint im Kampf für gemeinsame Ziele: Wähler, Spenden und Umsatz.

Warum werden die Nachrichten der NGOs häufig so unreflektiert weiterverbreitet? Es ist sicher auch eine Frage, aus welcher Generation die jetzt schreibende Zunft stammt. In den siebziger Jahren geboren etwa ist man mit Maulwurf Grabowski, Karl dem Käfer, dem Waldsterben sowie dem Reaktorunglück in Tschernobyl aufgewachsen. Umweltthemen bekamen in dieser Zeit in der Öffentlichkeit Gewicht, wurden aber bei den großen Parteien zuerst nicht entsprechend gewürdigt. Damals war Umweltschutz innovativ, heute bremst er Innovationen, weil das Vorsorgeprinzip wie ein Automatismus zuschnappt.

Diese Sensibilität für Umweltthemen schlägt sich auch politisch nieder. Bei der Studie „Politikjournalistinnen und -journalisten“ im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes wurde u.a. eine etwaige Parteipräferenz abgefragt. Mehr als ein Viertel der 743 interviewten Journalisten erklärten, die Grünen zu bevorzugen. Andere Untersuchungen bestätigen dieses Phänomen. So stellt die Studie „Journalismus in Deutschland 2005“   fest, dass 35,5 Prozent der Befragten die Grünen bevorzugen. Medienforscher Prof. Dr. Hans Mathias Kepplinger resümiert 2011 im Focus, nachdem die Ökopartei als Sieger der Landtagswahlen in Baden-Württemberg hervorgegangen war:

„Der Höhenflug der Grünen ist auch ein Triumph der im Journalismus dominierenden Weltsicht.“

Es muss einen also nicht überraschen, wenn in Fernsehberichten oder Zeitungen sogenannte Experten befragt werden, deren Expertise allein darin besteht, in einer bestimmten Organisation oder Partei zu eben jenem Themenkomplex zu sprechen. Es muss einen nicht wundern, aber es darf einen ärgern.

5 Antworten zu „BIG GREEN: der politisch-ökologische Komplex”.

  1. Avatar von Wolfgang Nellen
    Wolfgang Nellen

    Sehr beunruhigend ist tatsaechlich die Alianz aus politischen Parteien, NGOs und Journalismus. Hinzu kommen wirtschaftliche Interessenverbaende, die die politische Arbeit (oft indirekt und unsichtbar) massiv finanziell unterstuetzen und Universitaeten, bei denen sich Interessenverbaende ueber sogenannte Stiftungsprofessuren “universitaere Wuerden” zur Verbreitung ihrer Interessen einkaufen.
    Ein aelteres Beispiel, das dieses Zusammenspiel aber eindrucksvoll dokumentiert:
    Ein Journalist schreibt eine Dokumentation gegen das Schuelerlabor “HannoverGen”. Die Dokumentation wird u.a. von industriellen Interesssenverbaenden der Bio/Oekobranche finanziert.
    Die Dokumentation geht an Greenpeace, die dem Papier, gemeinsam mit dem Journalisten den “letzten Schliff” geben und als PR Profis Veranstaltungen und Demonstrationen gegen das Schuelerlabor organisieren sowie fuer umfangreiche Pressekampagnen sorgen.
    Diese Vorarbeiten werden von B90/Gruene verwendet, um erfolgreich auf politischer Ebene die Schliessung des Schuelerlabors durchzusetzen.
    Die Verknuepfungen zwischen Politik und Industrie gelten gewiss auch fuer andere Bereiche. Selten wird jedoch die “Macht der Strasse” durch die gezielte Zusammenarbeit mit hoch-professionellen und oeffentlich sehr wirksamen NGOs so konsequent (und erfolgreich) zur Durchsetzung politischer Ziele genutzt.

  2. Ich bin aus mehreren Gründen kein Fan der Grünen (und auch keiner anderen politischen Partei) etc., aber dieser Satz

    (Zitat) So stammen nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) 95 Prozent der problematischen Keime aus der Humanmedizin.

    lässt sich – so wie ich das verstehe – aus dem verlinkten PDF des BfR nicht ableiten. Nur für die MRSA-Keime.

  3. Avatar von hermann hänsel
    hermann hänsel

    Hier ein ausgezeichnet gesellschaftskritischer Sketch zu vielen “selbsternannten Fachleuten” auf Demos und anderswo (Postillion 24):
    https://www.google.de/search?q=postillion24+bienen&ie=utf-8&oe=utf-8&gws_rd=cr&ei=cqgVVZaQN8XyOOzygIAE

  4. […] in Berlin: “Agrarkonzerne – Finger weg von unserem Essen” – so argumentiert Big Green dagegen, dass sich Saatgutunternehmen bestimmte Eigenschaften ihrer Produkte patentieren lassen. […]

  5. […] habe mir schon immer gedacht, dass Grüne und NGOs – kurz: Big Green -, sich absprechen, aber so deutlich habe ich das bislang nicht in den Medien wieder […]

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