Heute hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Pflanzen, die mit modernen Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas entwickelt worden sind, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) einzustufen sind. Diese Entscheidung ist so nicht erwartet worden, zumal der EU-Generalanwalt Michal Bobek im Januar ein anders lautendes Gutachten vorgelegt hatte.
Mein Kommentar:
In der Tat haben wir hier eine Entscheidung, die nicht auf der Höhe der Zeit ist. GVO ja oder nein wird eng ausgelegt: Alles, was nicht auf natürliche Weise – was auch immer hier „natürlich“ bedeutet – oder durch Kreuzungszucht entstanden sein kann, ist ein GVO, also auch Mutagenesezüchtungen. In der Pressemitteilung heißt es:
„… dass durch Mutagenese gewonnene Organismen GVO im Sinne der GVO-Richtlinie sind, da durch die Verfahren und Methoden der Mutagenese eine auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderung am genetischen Material eines Organismus vorgenommen wird.“
Aber die alten Verfahren der chemischen bzw. physikalischen Mutagenese sind ausgenommen, weil sie als sicher gelten:
„Aus der GVO-Richtlinie ergibt sich jedoch auch, dass sie nicht für die mit bestimmten Mutagenese-Verfahren, nämlich solchen, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen verwendet wurden und seit langem als sicher gelten, gewonnenen Organismen gilt.“
Pflanzen, die mit den modernen Verfahren des Genome Editing gezüchtet worden sind, werden hingegen als GVO eingestuft, weil sie nach Ansicht des Gerichts die gleichen Gefahren mitbringen wie die Produkte der klassischen Gentechnik:
„Denn mit der unmittelbaren Veränderung des genetischen Materials eines Organismus durch Mutagenese lassen sich die gleichen Wirkungen erzielen wie mit der Einführung eines fremden Gens in diesen Organismus, und die neuen Verfahren ermöglichen die Erzeugung genetisch veränderter Sorten in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß als bei der Anwendung herkömmlicher Methoden der Mutagenese. In Anbetracht dieser gemeinsamen Gefahren würde durch den Ausschluss der mit den neuen Mutagenese-Verfahren gewonnenen Organismen aus dem Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie deren Ziel beeinträchtigt, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern.“
Gerade diese Passage sorgt bei Forschern und wissenschaftlichen Institutionen für Unverständnis. Denn auch institutionell geförderte Sicherheitsforschung in der EU hat längst gezeigt, dass es per se bei gentechnisch optimierten Pflanzen keine größeren Risiken gibt als bei konventioneller Züchtung. Die schon klassische Formulierung dazu findet sich in der Veröffentlichung „A decade of EU-funded GMO research (2001 – 2010)“ der EU-Kommission aus dem Jahre 2010 (S. 16):
„The main conclusion to be drawn from the efforts of more than 130 research projects, covering a period of more than 25 years of research, and involving more than 500 independent research groups, is that biotechnology, and in particular GMOs, are not per se more risky than e.g. conventional plant breeding technologies.“
Grüne Gentechnik ist seit mehr als 20 Jahren auf den Feldern und in den Supermärkten, und zwar ohne Super-Gau. Reicht das nicht, um als sicher zu gelten?
Dass es bei chemischer und physikalischer Mutagenese bisher zu keinen größeren Zwischenfällen gekommen ist, ist purer Zufall, weil diese Techniken eine noch viel größere Eingriffstiefe mitbringen – viel unnatürlicher sind – als klassische Gentechnik oder als Genome Editing.
Aus meiner Sicht steht jetzt die alte GVO-Richtlinie zur Diskussion, und zwar schnellstmöglich, wenn man international nicht den Anschluss verlieren will.
Einige Reaktionen:
We will continue to do plant science because it´s important. But we will not be able to harvest the commercial fruits of our scientific efforts in the EU.
— Andreas Schiermeyer (@aschier1) July 25, 2018
.@VBIO ist enttäuscht über Urteil des #EuGH zu #GenomEditing und ist besorgt, dass das Urteil nicht nur Konsequenzen für Freisetzung und Kultur neuer Pflanzensorten und angewandte Forschung hat, sondern auch zu einem Exodus aus der EU führt. https://t.co/fkUNMdpMH9 https://t.co/hp1YSBaLfd
— Deutsche Botanische Gesellschaft (DBG) (@PlantScienceDBG) July 25, 2018
#EuGH trägt zu rechtlicher Klärung bzgl. #Gentechnik bei. Gleichzeitig werden durch das Urteil viele Fragen zur Umsetzung und sinnvollen Anwendung von #Crispr in Landwirtschaft und Medizin aufgeworfen. Angesichts der Chancen brauchen wir differenzierende öffentliche Diskussion. https://t.co/eyLUEGVFez
— wissenschaft.kunst.bw (@mwk__bw) July 25, 2018
Good point, but I wonder whether European funding agencies will support field trials with genome edited plants outside EU if there is little chance to utilize the results (e.g., new varieties) in Europe.
— Karl Schmid (@kjschmid@fediscience.org) (@kjschmid) July 25, 2018
For me not fully clear yet. I read "… by mutagenesis are GMOs within the meaning of the GMO Directive, in so far as the techniques and methods of mutagenesis alter the genetic material of an organism in a way that does not occur naturally". But SNPs and INDELS occur naturally.
— Ken Heyndrickx (@KenScience) July 25, 2018
What are the risks mentioned in judgement? Have you heard of @royalsociety @theNASEM @Leopoldina? Why do you listen to people who deny modern science, on the same level as anti-vaxxers & climate change deniers? A fine day for those who want to destroy EU science. https://t.co/za5eIm2vq6
— Weigel Lab 🌱 aka WeigelWorld 🇺🇦 🇩🇪 🇺🇸 🇪🇺 (@PlantEvolution) July 25, 2018
Gene-edited crops should be subject to the same regulations as conventional GMOs, rules Europe's highest court. https://t.co/KzKHaizOPE
— nature (@Nature) July 25, 2018
Links
• Urteil
• Stellungnahme des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter
• Stellungnahme der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie e.V.
Bildnachweis: EC – Audiovisual Service / Photo: G. Fessy
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