Die jetzt veröffentlichte E-Mail-Korrespondenz von Christopher Portier wirft interessante Fragen auf. In dem Schreiben vom 11. November 2015, in dem Portier nach eigenen Angaben mehrere Hundert Wissenschaftler („several hundred colleagues“) auffordert, seinen Offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar mit zu unterzeichnen, bezieht er sich auf ein Dokument („Addendum“) des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). In diesem Addendum legt das BfR seine Auswertung der IARC-Bewertung von Glyphosat da.

Dieses BfR-Dokument war zum Zeitpunkt der E-Mail Portiers noch nicht offiziell veröffentlicht worden. Die EFSA hat das Schriftstück erst am 19. November 2015 hochgeladen. Daher verweist Portier in seinem Schreiben auf einen Download-Link auf dem Server des MDR. Der alte Link funktioniert aufgrund eines Website-Redesigns nicht mehr, dafür aber dieser hier: http://www.mdr.de/investigativ/rueckblick/fakt/fakt-glyphosat-bfr-bewertung100.html.

Wie kommt ein nicht offizielles Dokument dorthin? Am 28. September 2015 fand im Deutschen Bundestag eine Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Thema Glyphosat statt. Laut Protokoll wurde den Teilnehmern eine Fassung des Addendums ausgehändigt. So sagt der Ausschussvorsitzende Alois Gerig in seiner Sitzungseröffnung:

„Wir haben erhalten vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
(BMEL) ein noch nicht öffentliches Addendum, das uns auf Anforderung aus dem Ausschuss heute Vormittag zur Verfügung gestellt wurde.“

Die PDF-Fassung des Addendums, die unter mdr.de abrufbar ist, ist deutlich erkennbar aus einer Hardcopy hervorgegangen. Lochungen sind zu erkennen und die Qualität lässt darauf schließen, dass es ggf. sogar mehrfach kopiert bzw. gefaxt worden ist.

Der MDR war mit einem Kamerateam zur Anhörung vor Ort, wie aus einem Bericht hervorgeht, der online abrufbar ist. Spätestens dort wird der Sender Kenntnis von dem Dokument bekommen haben. Wie kommt das noch nicht veröffentlichte Addendum nun zum MDR? Der Verdacht liegt nahe: Irgendwer, der bei der Anhörung im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft anwesend war und/oder Zugriff auf das Papier hatte, hat das Addendum geleakt, aber wer?

In dem MDR-Bericht wird behauptet, dass das BfR die krebserregende Wirkung von Glyphosat in bestimmten Nagerstudien übersehen hat. Damit folgt der MDR im wesentlichen der Kritik, die Christopher Portier in der Anhörung vortrug:

„Zudem erschwert die Tatsache, dass sie [gemeint ist das BfR, Anm. d. Red.] sich weigern, die Tierstudien anzuschauen, und dass sie alle Krebsstudien zu Tieren als negativ bewerten, eine Beurteilung der Risikobewertung, die sie für Krebs vorgenommen haben, denn sie haben keine Risikobewertung für Krebs vorgenommen. Da die IARC die Krebsstudien als gentoxisch bewertet, wäre die Risikobewertung für Krebs deutlich anders als die Risikobewertung für die Nicht-Krebs-Endpunkte, und die Methode müsste auch eine andere sein – falls ich die europäischen Verfahren für den Umgang mit diesen Arten von Chemikalien richtig verstehe. Ich kann die BfR-Risikobewertung also nicht beurteilen, weil sich meine Meinung, der gemäß Glyphosat gentoxisch und die Epidemiologie wichtig ist, gänzlich von der BfR-Meinung unterscheidet. Und daher hat das BfR keine Risikobewertung erstellt, die ich evaluieren könnte.“

Die Süddeutsche Zeitung griff die Kritik des MDR auf und zitiert Harald Ebner, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen:

„Harald Ebner, Agrarexperte der Grünen im Bundestag, hat für die Geheimniskrämerei kein Verständnis. Es müsse geklärt werden, ob das Bundesinstitut so weiterarbeiten könne, verlangt er.“

studien_glyphosat.pngDabei ist das BfR nicht das einzige Institut, das aus den Nagerstudien keine Evidenz für Krebsentstehung ableitet. Eigentlich ist es genau andersherum: Die IARC ist die einzige Organisation, die das tut, alle anderen internationalen Einrichtungen sind derselben Meinung wie das BfR (siehe Tabelle). Vor diesem Hintergrund wirkt der O-Ton von Harald Ebner im MDR-Bericht geradezu ignorant:

„Die Studien sind ja nicht neu. Das sind ja Studien, die sind schon einige Jahre alt. Da frage ich mich schon: Wie konnte man das bislang übersehen? Warum ist das BfR bislang zu dem Schluss gekommen: Keine Signifikanz, keine Kanzerogenität?“

Der MDR verweist an dieser Stelle auf das Addendum, in dem das BfR die unterschiedlichen Herangehensweisen von IARC und BfR erklärt:

„Due to the application of different statistical approaches selected for evaluation, IARC and RMS came to diverging conclusions when evaluating cancer incidences in animal studies. IARC included a trend test (generally according to Cochran-Armitage) for statistical evaluation of the data (IARC, 2015, ASB2015-8421). In contrast, initially, the RMS relied on the statistical evaluation provided with the study reports, which was performed and documented as foreseen in the individual study plans (RAR, April 2015, ASB2015-1194).“

Das BfR habe sich auf die Berechnungen der Studienautoren und damit der Herstellerfirmen verlassen, lautet das Resümee der MDR-Reporter. Sie lassen den Toxikologen Peter Clausing zu Wort kommen, der das „ihm exklusiv zugespielte“ Addendum für die NGOs Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) und Campact ausgewertet hatte:

„Die Tatsache, dass Industriestudien blind übernommen wurden und einfach nur wieder gegeben wurden, das ist einfach skandalös.“

Liest man an der entsprechende Stelle im Addendum weiter, erfährt man jedoch, dass das BfR sehr wohl eigene statistische Berechnungen vorgenommen hat:

„In order to systematically assess the impact of choice of statistical method, a number of neoplastic endpoints in key-studies were re-evaluated by the RMS for this Addendum using the Fishers exact test and the Cochran-Armitage test, as both are explicitly recommended in the OECD guidance documents cited above. The Cochran-Armitage Test was performed using BMDS version 2.4.0.70. The Fisher-Yates test (Fisher´s exact test) was done using SigmaPlot version 11.2.0.5. The Fisher exact test was replaced by the Chi-square test if N was >50 for all groups.“

Auch das BfR hat in einer Studie eine Signifikanz für Tumorentstehung entdeckt, allerdings gewichtet das BfR die Studie anders, weil es sich um eine Hochdosis-Studie handelt und andere Studien den Zusammenhang nicht bestätigen, und wendet schließlich andere Kriterien für die Einordnung an:

„Overall, based on the study results and the CLP criteria RMS concluded that the evidence of carcinogenicity is conclusive but not sufficient for classification.“

Dass die IARC-Bewertung auch in den eigenen Reihen nicht ganz unumstritten ist, zeigt eine Reaktion auf das Schreiben von Christopher Portier an seine „mehrere Hundert“ Kollegen. Ellen Silbergeld, Expertin für Umweltgesundheit an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, wendet ein, sie habe Bedenken:

„Ich denke, dass ist ein Beispiel, wie wir uns alle auf dünnem Eis bewegen, wenn jede Gruppe eine Bewertung vornimmt mit einem nicht vollständigen Überblick über die Literatur.“

Wie auch immer das Drama um Glyphosat ausgehen wird, ein Verlierer steht bereits jetzt fest: die Wissenschaft. Die E-Mail-Korrespondenz von Christopher Portier weist zahlreiche Kontakte zu Medien und NGOs in Europa und in den USA auf. Es entsteht der Eindruck, dass hier weniger die Suche nach der Wahrheit im Vordergrund stand, als der Versuch, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren, Eitelkeiten zu pflegen und seine Mission zu erfüllen. In einer E-Mail vom 21. Oktober 2015 an seine frühere Vorgesetzte Linda Birnbaum, Direktorin des National Institute of Environmental Health Sciences und Direktorin des National Toxicology Program, beschreibt Portier seine Aktivitäten folgendermaßen:

„Ich habe auch etwas Spaß daran, die IARC-Ergebnisse zu Glyphosat in die europäischen Entscheidungsprozess um die Neuzulassung zu drücken. Ich bin mir nicht sicher, ob das mehr Einfluss haben wird, als es für die EFSA etwas ungemütlich zu machen, aber ich versuche es.“

Jo, mit einem Stundenlohn von 450$ macht das bestimmt Spaß.

 

Bildnachweis: Screenshots MDR

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