Mehr als rund 744.000 Menschen haben bislang für die europaweite Bürgerinitiative „Stop Glyphosate“ unterschrieben. Das Ziel der Initiative ist, bis zum 15. Juni 2017 mindestens 1 Million Unterstützer zu gewinnen. Dabei ist anscheinend jedes Mittel recht, um die Menschen zu motivieren. So steht im Abschnitt „Warum ist das wichtig?“ des deutschsprachigen Aufrufes als Schlusssatz:

„Handeln Sie jetzt: Unterzeichnen Sie unsere Bürgerinitiative gegen Monsantos krebserregendes Gift.“

Die Europäische Chemikalienagentur ECHA (European Chemicals Agency) sieht das anders. Ihr Urteil vom März dieses Jahres lautet:

“ECHA’s Committee for Risk Assessment (RAC) agrees to maintain the current harmonised classification of glyphosate as a substance causing serious eye damage and being toxic to aquatic life with long-lasting effects. RAC concluded that the available scientific evidence did not meet the criteria to classify glyphosate as a carcinogen, as a mutagen or as toxic for reproduction.”

Danach ist Glyphosat weder krebserregend noch mutagen noch reproduktionstoxisch. Allein die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Unterorganisation der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hatte den Herbizid-Wirkstoff Glyphosat im März 2015 als “wahrscheinlich krebserregend” (Gruppe 2A) klassifiziert. Was bedeutet diese Klassifizierung? Die IARC schreibt in der Pressemitteilung:

“Group 2A means that the agent is probably carcinogenic to humans. This category is used when there is limited evidence of carcinogenicity in humans and sufficient evidence of carcinogenicity in experimental animals. Limited evidence means that a positive association has been observed between exposure to the agent and cancer but that other explanations for the observations (called chance, bias, or confounding) could not be ruled out. This category is also used when there is limited evidence of carcinogenicity in humans and strong data on how the agent causes cancer.”

Hier wird deutlich, dass das IARC-Etikett “wahrscheinlich krebserregend” nichts mit der umgangssprachlichen Formulierung “Substanz xy ist wahrscheinlich krebserregend” zu tun hat. Es ist eine rein technische Festlegung, die den Grad der Evidenz beschreibt, den die Forscher in ihrem Studienmaterial vorfinden.

Wohlstandsphänomen

Zurück zur Bürgerinitiative: Noch im März konnte jeder Internetnutzer unter der Website https://sign.stopglyphosate.org/stats die aktuellen Zahlen abrufen, wie viele Menschen in welchem Land der EU unterschrieben haben. Leider ist diese Funktion momentan deaktiviert. So viel Transparenz will man dann wohl doch nicht. Auf E-Mail-Anfrage hat mir die Dachorganisation WeMove den aktuellen Stand für die einzelnen Länder genannt. Am 16. Mai 2017 gestaltete sich die Verteilung der Unterzeichner auf Herkunftsländer folgendermaßen:

 

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Mit Abstand die meisten Unterschriften stammen aus Deutschland. Ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl gesetzt ergibt sich folgendes Bild:

 

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Luxemburg führt, gefolgt von Deutschland, Österreich, Belgien und Dänemark. Warum Luxemburg? Ein Blick auf die Einkommensverhältnisse in den jeweiligen Ländern, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ergibt Aufschluss: Luxemburg ist mit Abstand das reichste Land in der EU.

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Die Sorge um Chemie im Essen scheint somit zu einem gewissen Anteil auch ein Wohlstandsphänomen zu sein. Dabei sind die Glyphosat-Rückstände, die man landläufig in Lebensmittel finden kann, unter dem Aspekt einer etwaigen Gesundheitsgefährdung völlig zu vernachlässigen.

Alkohol als reale Gesundheitsgefahr

Wenn es den Akteuren der Initiative wirklich um die Gesundheit der Menschen ginge, müssten sie eine Kampagne gegen Alkohol organisieren. Die IARC hat nämlich ohne jeden Zweifel festgestellt, dass Alkohol (chemisch: „Ethanol“) krebserregend ist.

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Bewertung der IARC aus der Monographie „Consumption of Alcoholic Beverages

Mit einem Verbot von Alkohol würden Ökoparteien und NGOs viel mehr in Sachen Gesundheitsfürsorge erreichen, als sie durch ihren Aktionismus gegen ein relativ harmloses Pflanzenschutzmittel erreichen. Noch einmal deutlich: Hey, die IARC hat Alkohol als Kategorie 1-Karzinogen („krebserregend“) eingestuft (siehe Bild). Als Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff würde Alkohol deswegen vermutlich keine Zulassung bekommen können, aber es steht meterweise in unseren Supermarkt-Regalen und niemand regt sich darüber auf.

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Anteil der Todesfälle, die auf Alkohol zurückzuführen sind, Karte: WHO

Nach den Angaben der WHO sterben pro Jahr rund 3,3 Millionen Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums. In Deutschland sind 2 bis 4,9 Prozent der Todesfälle auf Alkoholkonsum zurückzuführen (siehe Karte).

Auch das Argument „Ich nehme den Alkohol ja bewusst zu mir“ zieht in diesem Fall nicht, weil es versteckten Alkohol in vielen Lebensmitteln gibt, wo man die Substanz nicht vermutet, zum Beispiel in Brot, Früchten und Fruchtsäften sowie Kefir. Sogar als „alkoholfrei“ bezeichnete Getränke dürfen Alkohol enthalten. Das Bayerische Verbraucherportal informiert:

„Getränke mit weniger als 0,5 Volumenprozent Alkohol sind nicht deklarationspflichtig und dürfen als „alkoholfrei“ bezeichnet werden. In Malzbier, das von Kindern gerne getrunken wird, kann bis zu 1 Volumenprozent Alkohol sein.“

Hier könnten sich Verbraucherschutz-Initiativen mal richtig austoben und Aufklärung betreiben. Das werden die Ökoparteien sowie die NGOs aber nicht tun, weil es unpopulär wäre und somit „nicht kampagnenfähig“. Alkoholkonsum ist gesellschaftlich akzeptiert und alltäglich. Dass Alkohol nicht gesund ist, ist bekannt. Damit lassen sich weder Ängste noch Aufmerksamkeit generieren. Warnungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (etwa: „Mit jedem Glas Alkohol steigt das Krebsrisiko„) verhallen ohne jegliche Resonanz. Dabei geht es hier um ganz reale Gesundheitsgefahren.

Empörungsindustrie

Die Gesellschaft sollte sich hingegen fragen, wie sie mit solchen konstruierten Inszenierungen wie der Initiative gegen Glyphosat umgehen will. Was ist eine Campact-Petition mit rund 250.000 Unterschriften wert im Wettbewerb der Meinungen? Die Campact-Kampagnen haben alle sechsstellige Größenordnungen. Am schlechtesten läuft die für Flüchtlinge, die dümpelt seit Jahren bei unter 200.000 rum – auch nicht so kampagnenfähig halt.

Um sich die Mechanismen vor Augen zu führen, die solchen Panik-Kampagnen zugrunde liegen, empfehle ich den Disney-Film „Zoomania“ („Zootopia“ heißt der besser passende Originaltitel). In der Stadt Zootopia leben alle Tiere friedlich zusammen – Raubtiere und Beutetiere. Um an die Macht zu gelangen und den Bürgermeister (ein Raubtier) abzulösen, plant der Bösewicht (ein Beutetier) eine Intrige gegen die Raubtiere: Durch die heimliche Gabe eines Giftes werden die Raubtiere aggressiv und greifen andere Tiere an, so dass die Beutetiere auf einmal Angst vor den Raubtieren bekommen und ihnen nicht mehr vertrauen. Misstrauen bestimmt fortan das Leben in Zootopia. Als die Heldin des Films die Machenschaften durchschaut, stellt sie den Bösewicht zur Rede:

„Ach, darum geht es: Beutetiere fürchten die Raubtiere und Sie bleiben an der Macht? Das wird nicht funktionieren!“

Und der Bösewicht antwortet:

„Das mit der Angst funktioniert immer!“

 

 

Bildnachweis: Dr. Michael Reininger

 

2 Antworten zu „„Das mit der Angst funktioniert immer“”.

  1. Pünktlich mit Kalkül kommt dazu auch gleich die nächste Aktivisten-Doku raus, die das Gespenst Monsanto heraufbeschwört.

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